Braut von Assisi
werde!«
Er zog Stella nach draußen.
»Aber was sollen wir jetzt tun?«, fragte sie.
»So schnell wie möglich von hier verschwinden«, sagte Leo. »Wenn die Leute von Rieti uns zum zweiten Mal bei einem toten Bruder finden, werden sie sicherlich glauben …« Er hielt plötzlich inne. Sein Gesicht war wie erstarrt.
»Leo!«, rief Stella. »Sag etwas! Du machst mir Angst.«
»Mir kommt gerade etwas in den Sinn, das so irrwitzig klingt, dass es tatsächlich wahr sein könnte«, sagte er. »Die Blutkarte haben wir unter einem Pfeil beim toten Giorgio gefunden. Der nächste Einsiedler, den wir aufgesucht haben, hieß Sebastiano – richtig?«
Stella nickte.
»Nach der Überlieferung wurde der heilige Sebastian von Pfeilen getötet. Unser Sebastiano von Fonte Colombo aber starb durch eine Steinlawine, man könnte also auch sagen, er wurde gesteinigt.«
»Und wenn es doch ein Unfall war?«
»Unfall oder Mord – auf jeden Fall kam Sebastiano im Steinhagel zu Tode. Das jedoch war das Martyrium des heiligen Stephanus. Unser Bruder Stefano hier wurde ans Kreuz gebunden, an ein ganz besonderes Kreuz, an dem laut der Legende der heilige Andreas sein Leben lassen musste.«
Stellas Blick war ratlos.
»Verstehst du denn nicht?« Leos Stimme überschlug sich beinahe. »Das ist kein Zufall, dahinter liegt ein System.
Jeder Ermordete, den wir finden, weist mit seiner Todesart auf das nächste Opfer hin, das daran glauben wird. Von Giorgio zu Sebastiano, von Sebastiano zu Stefano und von Stefano zu Andreas.«
»Der Bruder, der Santa Maria della Foresta hütet, heißt Andrea.« Stella war bleich geworden. »Das hat Padre Stefano doch erst gestern gesagt!« Hilfesuchend sah sie Leo an. »Aber das hieße ja …«
»Dass wir es mit einem Mörderpack zu tun haben, das seine Heiligen ausnehmend gut kennt und vor nichts zurückschreckt«, sagte Leo grimmig. »Ich kann nur hoffen, wir kommen nicht zu spät nach Santa Maria della Foresta!«
Wollte der steinige Weg den Berg hinauf denn gar kein Ende nehmen? Leo hatte Fidelis an Feldern und Wiesen entlanggejagt und unterwegs zweimal innehalten und die Blutkarte befragen müssen, um sich kurz vor dem Ziel nicht doch noch zu verirren. Es bereitete ihm eine gewisse Sorge, dass sie sich auf ihrer Route Rieti wieder näherten. Doch der Tross der empörten Bürger, der inzwischen sicher längst aufgebrochen war, um den Toten zu bergen, musste glücklicherweise die andere Richtung einschlagen, wenn er das Kloster Greccio erreichen wollte.
Es war so friedlich und still wie im Paradies.
Zikaden und Grillen sangen um die Wette, und die spätnachmittägliche Hitze lastete schwer auf dem Land. Alles ringsumher war gleißend, verschwenderisch in Licht getaucht, als würde der Sommer seine höchste Blüte stolz zelebrieren.
Dann umschloss sie dichter Wald, zwischen dessen hohen Bäumen nur ein schmaler Pfad führte. Die Einsiedelei
lag versteckt unter einer Hügelkuppe und war erst zu sehen, wenn man schon fast davorstand. Sie schien keineswegs ausgestorben zu sein, denn aus dem Kamin stieg eine feine Rauchsäule.
»Ich kann mir nicht helfen«, sagte Stella, »es riecht ganz ähnlich wie bei uns in der Küche, wenn die Mägde den Braten für ein großes Fest vorbereitet haben.«
»Ein Eremit wird wohl kaum für sich allein solchen Aufwand betreiben.« Leo klang beunruhigt. »Franziskus hat uns Brüdern zwar niemals den Genuss von Fleisch verboten, und dennoch gibt es kaum einen unter uns, der es frohen Herzens genießt.«
Der süßliche Geruch wurde stärker, als sie näher kamen, richtig penetrant.
Leo stieg ab und half Stella vom Pferd. Gemeinsam liefen sie zu dem ziegelgedeckten Haus. Die schwere Holztür stand offen. Gab es jemanden, den der Eremit erwartete?
Zögernd traten sie ein. Mittlerweile stank es unerträglich. In den beiden ersten karg möblierten Räumen grüßte sie je ein Kruzifix an der Wand. Truhen, Tische und ein paar Schemel waren abgenutzt und in denkbar schlechtem Zustand. Danach kam ein großer Raum, der eine Traubenpresse beherbergte, was sie verwunderte. Inzwischen hatte Stella sich die Nase zugehalten, weil sie den Gestank nicht mehr ertragen konnte, und auch Leo atmete nur noch ganz flach.
Sie wichen entsetzt zurück, kaum dass sie in die Küche gelugt hatten. Der Raum war klein und fensterlos, wies aber eine erstaunlich große Feuerstelle auf, die von einem groben Eisenrost nahezu vollständig überdeckt war. Die Glut darunter war noch am Glimmen – und
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