Braut von Assisi
Monaten einen Brief erhalten«, übersetzte der Novize. »Einen Brief, der sie zutiefst beunruhigt hat. Seitdem war sie vollkommen verändert. Hat Tag und Nacht gegrübelt, mit ihrem Schicksal gehadert, konnte nicht mehr zur Ruhe kommen.«
»Kennst du den Inhalt dieses Briefes?«, wollte Leo weiter wissen.
»Magdalena war bereit, ihn mir zu enthüllen, denn nur so hätte ihre Seele Frieden finden können. Aber da wurde ich schwer krank.« Er richtete sich auf. »Doch ich habe von keiner giftigen Pflanze gekostet, wie manche hier fälschlicherweise behaupten. Mein Unwohlsein setzte erst ein, nachdem ich einen Becher Wein in der Zelle des Abtes getrunken hatte. Inzwischen weiß ich, dass danach Padre Matteo statt meiner die Beichte im Frauenkonvent abgenommen hat. Ich gehe davon aus, dass Magdalena, die in großer seelischer Not war, sich ihm anvertraut hat.«
»Dir gegenüber hat sie keine Andeutungen gemacht?« Leos Blick ruhte nachdenklich auf den eingefallenen Zügen Eligios. »Denk bitte ganz genau nach!«
»Ein einziges Mal. Sie hat von einem Engel gesprochen, dem sie einst begegnet sei, den sie aber wieder verloren habe. Einem Engel, der sie nun nicht mehr lieben könne, da sie ein Kind der Sünde sei, das niemals hätte geboren werden dürfen. Das ist alles, was ich weiß.« Erschöpft sank er auf sein Lager zurück.
»Du hast mir sehr geholfen«, sagte Leo. »Ich danke dir, Bruder, und wünsche dir von ganzem Herzen, dass deine Kräfte bald zurückkehren!«
Die Mosaiksteinchen fügen sich immer mehr zu einem erkennbaren Muster, dachte Leo beim Hinausgehen, wenngleich das Bild, das sie ergeben, so unglaublich scheint, dass man es kaum glauben mag.
»Bist du nun zufrieden?«, wollte der Prior wissen.
»Zufrieden kann ich erst sein, wenn ich alles weiß, was ich wissen muss«, lautete Leos Antwort. »Wer ist der neue Beichtvater von San Damiano?«
»Ich bin es«, sagte Fulvio. »Falls du nichts dagegen hast. Ein Amt, das mir sehr am Herzen liegt.«
Es klang überzeugend, aber konnte Leo sich wirklich darauf verlassen?
»Wie geht es Madre Chiara?«, lautete daher seine nächste Frage.
»Der Wille ist stark, doch ihre Kräfte schwinden mehr und mehr. Der Tod hält sie schon in den Armen, doch sie ist erst zum Sterben bereit, wenn sie ihr Armutsprivileg bekommen hat, das sagt sie selbst mir immer wieder. Aber wird die heilige Kirche solch eine Auszeichnung jemals einem schwachen Weib gewähren?«
Leos Gesicht hatte sich verfinstert. »Das Geringste an Ungewöhnlichem oder Auffälligem, das mir von dort zu Ohren dringt – und ich werde …«
»Non sentirai niente di simile!« , zischte der Prior giftig.
»Du wirst nichts dergleichen zu hören bekommen, sei ganz gewiss!«, übersetzte der Novize hastig. Seine leicht abstehenden Ohren waren auf einmal brandrot geworden.
»Das will ich hoffen!«, sagte Leo, zu Fulvio gewandt. Dann entspannten seine Züge sich wieder. »Du bist sicherlich nicht übermäßig traurig, wenn ich während meines restlichen Aufenthaltes in Assisi nicht im Kloster wohnen werde?«
Die Lippen des Priors waren zum Strich geworden.
»Sacro Convento steht dem Visitator jederzeit zur Verfügung«, leierte der Novize herunter. »Wir frommen Brüder wären glücklich und erfreut, wenn …«
»Schon gut!« Leo war plötzlich ungeduldig. »Wir beide wissen, wie es sich wirklich verhält. Ich werde deine Gastfreundschaft nicht unnötig strapazieren. Gut möglich allerdings, dass wir uns doch noch mal sehen werden – sobald Johannes von Parma und der Heilige Vater in Assisi eintreffen.«
»Der Papst kommt nach Assisi?« Der Prior riss die Augen weit auf. »Wann genau dürfen wir Seine Heiligkeit voller Freude begrüßen?«
»Schon sehr bald«, versicherte Leo. »Ich denke, Madre Chiara wird nicht mehr allzu lange warten müssen.«
Den ganzen Tag über war es brütend heiß gewesen, doch jetzt am Nachmittag hatte der Himmel sich verfinstert. Die Luft war feucht und schwer; im Westen zuckten bereits erste Blitze.
Stella beschleunigte ihre Schritte, obwohl es ihr die letzte Anhöhe vor San Damiano nicht gerade leicht machte. Das Kleid klebte ihr am Körper, die Haare waren feucht vor Schweiß.
In einiger Entfernung vom Kloster blieb sie stehen, um nochmals ihre Gedanken zu ordnen. Ich bin hier, weil es mein gutes Recht ist, dachte sie. Und um endlich Gewissheit zu haben. Ich bin keine Bittstellerin, die man einfach abweisen kann. Aber ich will auch nicht auftrumpfen, sondern
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