Braut von Assisi
doch schon gehört, dass dies ganz und gar unmöglich ist«, ergriff Suor Benedetta das Wort. »Unsere geliebte Mutter ist sehr krank. Ein solcher Besuch würde sie viel zu sehr aufregen …«
»Ich bin die Tochter einer Nonne, die in diesem Kloster gelebt hat und außerhalb des Klosters ums Leben gekommen ist«, unterbrach Stella sie scharf. »Was beides mehr als merkwürdig ist, denn wie sollte Suor Magdalena in strengster Klausur schwanger werden und ein Kind zur Welt bringen? Ein Kind, das man offenbar gleich nach der Geburt eiligst von der Mutter getrennt und zu Zieheltern gebracht hat? Wie konnte sie zudem außerhalb der schützenden Klostermauern, die sie doch angeblich nicht verlassen durfte, getötet werden? All das kann nicht unbemerkt vonstattengegangen sein. Ihr und andere hier müssen davon gewusst haben. Ich werde Madre Chiara danach fragen. Ich möchte endlich die Wahrheit erfahren!«
Die drei tauschten schnell Blicke. Offenbar hatten sie sich untereinander nicht genau genug abgesprochen, wie sie reagieren sollten.
»Hab doch ein Einsehen!«, sagte Beatrice bittend. »Meiner armen Schwester sind, wie es aussieht, nur noch wenige Tage vergönnt, dann wird der Allmächtige sie zu sich berufen. «
»Das hat er mit meinem Vater bereits getan«, sagte Stella. »Padre Lorenzo von Poggio Bustone. Ich bin sicher, sein Name ist Euch allen nicht unbekannt. Er starb durch die Hand eines Besessenen, der vor ihm schon die anderen Eremiten des heiligen Tales ermordet hat. So viel Blut, das vergossen wurde – wegen eines alten Geheimnisses, das niemals ans Licht hätte kommen sollen!« Ihre Stimme war bei den letzten Worten wieder lauter geworden. »Das muss endlich ein Ende haben! Deshalb bin ich heute hier.«
Inzwischen starrten die frommen Schwestern sie an wie eine Erscheinung. Keine rührte sich mehr. Nicht einen Ton brachten sie heraus.
Endlich schien zumindest Suor Benedetta sich zu fassen. »Wir bedauern zutiefst, was dort geschehen ist«, sagte sie. »Seit jeher waren uns die frommen Brüder des heiligen Tals ganz besonders lieb und teuer.«
»Sie sind alle tot.« Stella war froh, dass die Nonnen nicht sehen konnten, wie sehr ihre Knie unter dem langen Kleid zitterten. »Heimtückisch ermordet, damit sie nichts verraten konnten. Der Eid, den sie geschworen hatten, war zugleich ihr Todesurteil. Madre Chiara muss erfahren, wie sich alles zugetragen hat!«
»Das wird sie. Bringt das Mädchen zu mir!« Die Frauenstimme von nebenan war leise, aber erstaunlich energisch. »Ich will sie sehen.«
Die Blicke der Nonnen flogen zur angelehnten Tür, in ihren Gesichtern stand blankes Entsetzen.
»Madre Chiara«, rief Benedetta schließlich, »meinst du nicht, das könnte zu anstrengend für dich sein?«
»Bringt das Mädchen zu mir!«, wiederholte die Äbtissin. »Und dann geht – alle! Ich möchte allein mit ihr sein.«
Beim Anblick des Bischofspalasts von Assisi wurde Leos Herz noch schwerer, als es ohnehin schon war. Eine entscheidende Stätte im Leben Francescos – doch hatte sie ihm wirklich Glück gebracht?
Leos Blick glitt über die schweren Quader aus rötlichem Sandstein, die sich zu drei Stockwerken auftürmten. Vor diesem stattlichen Bauwerk hatte der Heilige den Streit mit seinem Vater inszeniert, sich alle Kleider vom Leib gerissen, um sie ihm vor die Füße zu werfen. Hier war er nackt gestanden, bis der Bischof sich seiner erbarmt und ihn in seinen Mantel gehüllt hatte, um die Blöße des jungen Mannes zu bedecken und den Skandal nicht noch größer zu machen, als er ohnehin schon war.
In jenes Haus war Franziskus Jahre später als Sterbender zurückgekehrt, allerdings nicht freiwillig, sondern auf Anweisung des Bischofs, einer Anweisung, der er sich später listig entzog, um auf dem blanken Boden von Portiuncula im Kreis der Brüder sein Leben ganz im Sinn seiner Botschaft auszuhauchen.
War Innozenz IV. genau aus diesem Grund im Bischofspalast abgestiegen? Um zu demonstrieren, dass einzig in seinen Händen das Schicksal der Franziskaner lag?
Leo klopfte an und wurde von einem gebückten Benediktiner eingelassen. Diese Brüder waren der Lieblingsorden des gegenwärtigen Papstes: der Tradition verhaftet, ohne gefährliche Gesinnung, die für Aufregungen und Verdruss sorgen konnte.
Der Nachfolger Petri empfing Leo in einem holzgetäfelten
Saal des Erdgeschosses, dessen Hauptwand ein Bild des thronenden Jesus als Weltenherrscher einnahm. Zu seinen Füßen die Schrecknisse des
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