Braut von Assisi
Marta gesucht«, sagte Stella nach den ersten Schlucken, die genau wie früher heiß und tröstlich süß die Kehle hinunterrannen.
»Das weiß ich doch, Kleines. Tagelang nur Rotz und Wasser! Nichts und niemand konnte dich beruhigen. Nur meine Honigmilch hat es schließlich doch geschafft.« In ihren gütigen Augen schimmerte Zuneigung. »Die allerbeste Medizin gegen Traurigkeit, die ich kenne.«
»Das meine ich nicht, Toma. Ich spreche von der Gegenwart. Gestern hab ich mich überall in der Stadt nach ihr umgesehen und vorgestern auch schon. Ilaria ist sich nämlich ziemlich sicher, sie vor Kurzem in Assisi gesehen zu haben. Nahe San Rufino. Weißt du vielleicht etwas davon? Ihr zwei habt doch früher oft zusammengesteckt! «
»Signorina Ilaria wird sich wohl getäuscht haben.« Tomas Stimme klang auf einmal flach. »Marta kann inzwischen ganz anders aussehen. Ihr Mädchen wart doch damals beide noch so klein …« Sie nahm ein Tuch und begann, energisch unsichtbare Brösel vom Tisch zu wischen.
»War sie vielleicht bei dir?« Stella stand auf einmal ganz nah neben Toma, die noch immer so roch wie damals, nach Mehl, Milch und Vanille, als wäre keine Zeit verstrichen, seit sie zum ersten Mal ihren Kopf weinend in diese Schürze gepresst hatte. »Hat sie dich jüngst aufgesucht?«
»Nein.« Das kam sehr schnell. »Warum sollte sie? Marta ist vor Langem von uns fortgegangen. Sie war eine kluge Frau. Sie wird ihre Gründe gehabt haben.«
»Und wenn es Gründe gäbe zurückzukommen?« Stellas fragender Blick hielt den ausweichenden Tomas fest. »Vielleicht, weil sie mir etwas zu erzählen hat, das ich wissen sollte?«
»Sie war deine Amme, Stella. Inzwischen aber bist du erwachsen. Eine junge Frau, die kurz vor ihrer Hochzeit steht.« Tomas verwachsener Zeigefinger tippte leicht auf
den Granatring an Stellas Hand. »Das solltest du nicht vergessen. Hör endlich auf, dem Vergangenen hinterherzujagen! Du brauchst keine Amme mehr.« Es klang abschließend.
»Aber Liebe«, flüsterte Stella, während sie das Tuch lüpfte und nach dem Teig schaute. »Und Gewissheit – endlich.«
Sein heutiger Abschied von San Damiano war noch frostiger als sonst verlaufen, was Leo bedauerte, denn er wollte sich die frommen Schwestern nicht zu Feindinnen machen, sondern lediglich herausbekommen, was sie vor ihm verbargen. Alle wirkten gleichermaßen erleichtert, weiteren unbequemen Fragen entgangen zu sein: Suor Beatrice war nach den letzten Worten weggestürzt, zurück ans Krankenlager von Madre Chiara, wie er vermutete, um ihr alles haarklein zu berichten, Suor Regula in die Kapelle verschwunden. Benedetta ließ sich vorsichtshalber gar nicht mehr blicken, und auch die junge Amata, die wegen ihrer Offenherzigkeit ihm gegenüber sicherlich mit Tadel zu rechnen hatte, blieb unsichtbar.
Einzig die Graue schien zu bedauern, dass er das Kloster wieder verließ, und strich wie gewohnt um seine Beine, bis er sich bückte, um sie ausgiebig zu streicheln. Als er sich wieder erhob, war ein leichter Wind aufgekommen, der die Hitze des Tages erträglicher machte.
Leo ging noch einmal zu der Stelle, an der man Magdalena begraben hatte. Zwei Menschen waren gestorben, einer kurz vor seinem Eintreffen in Assisi, einer bald danach. Und obwohl er keinerlei Verbindung erkennen konnte zwischen einer Nonne mit Geheimnissen, die offenbar nur eine echte Freundin unter all ihren Mitschwestern gehabt
hatte, und einem angeblichen Leprakranken, den man in den nächtlichen Gassen der Stadt wie einen räudigen Hund erschlagen hatte, beschäftigte ihn dieser Gedanke doch eine ganze Weile.
Und wenn das unsichtbare Glied jenes verschwundene Buch war, nach dem er am liebsten auf der Stelle das ganze Kloster durchkämmt hätte?
Sogar das Kribbeln im Nacken ließ ihn bei dieser Vorstellung im Stich. Dabei sehnte er sich so sehr nach Gewissheit, nach einem Stück Sicherheit in diesem Sumpf von Auslassungen, Halbwahrheiten und Lügen.
Fidelis schnaubte, als sie ihn endlich wieder erblickte. Er streichelte sie zwischen den Nüstern, ebenso behutsam, wie er zuvor das weiche Fell der Katze berührt hatte.
Tiere sind unsere Gefährten und Schutzbefohlenen, dachte er, während er aufstieg und losritt. Beseelte Lebewesen, wie wir von Gott geschaffen. Auch das hatte er erst von Franziskus und aus den Legenden, die sich um sein Leben rankten, gelernt, während Tiere auf der väterlichen Burg lediglich als eine Art Gegenstand betrachtet worden waren, dessen man sich
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