Braut von Assisi
dreizehn war. Ich bin genauso alt wie unser Jahrhundert, am ersten Tag des neuen Jahres geboren.«
»Dann warst du ja damals fast noch ein Kind!«, rief Leo.
»Ich war doch kein Kind mehr!«, protestierte Beatrice. »Außerdem ist ja unsere Mutter Ortulana zusammen mit mir ins Kloster gegangen, wo bereits meine Schwestern Chiara und Agnes lebten …«
»Sprich weiter!«, forderte Leo sie auf. »Was war noch in jenen Tagen?«
»Das weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass meine Seele von Glück erfüllt war, endlich dort angekommen zu sein, wo ich schon immer sein wollte.« Um ihre Lippen lag ein entschlossener Zug, den sie vielleicht schon damals gehabt haben mochte.
Leo blätterte in seinen Aufzeichnungen.
»Also Ende 1212 – das muss doch die Zeit gewesen sein, als Magdalena zu euch kam«, sagte er. »Erzähl mir davon! Wer hat sie als Erste entdeckt?«
Jetzt waren Beatrices Lippen nur noch ein Strich, und
die Familienähnlichkeit mit Madre Chiara war geradezu frappierend.
»Daran erinnere ich mich nicht mehr.« Die Stimme der Übersetzerin klang auf einmal gepresst.
Sie halten etwas zurück, dachte Leo und machte eine kleine Notiz. Alle beide.
»Komm schon, das kannst du mir nicht erzählen!«, fuhr er in aufmunterndem Tonfall fort. »Ein Mädchen, kaum der Kindheit entwachsen, das gerade mit seiner Mutter ins Kloster eingetreten ist – und dann liegt kurz danach ein schreiendes Neugeborenes vor der Pforte. An so etwas erinnert man sich doch ein ganzes Leben.«
»Sie war ganz plötzlich da. Als ob sie vom Himmel gefallen wäre. Wir alle haben uns abwechselnd um sie gekümmert, bis auf Chiara, die als unsere Äbtissin andere Aufgaben zu erfüllen hatte. Magdalena, wie wir sie getauft haben, ist unter uns aufgewachsen. Und eines Tages auch Nonne geworden. Mehr gibt es darüber nicht zu sagen. « Geradezu feindselig hatte sie die knappen Sätze hervorgestoßen, und auch Regulas Übersetzung klang hart.
»Magdalena ist außerhalb des Klosters zu Tode gekommen. Das gäbe es beispielsweise noch dazu zu sagen. Nachts. Und ihre Finger zeigten Tintenspuren. Sie muss geschrieben haben, viel geschrieben. Und du willst nicht bemerkt haben, dass Pergament und Tinte fehlten?« Er legte eine winzige Pause ein. »Oder hast du sie etwa mit Schreibutensilien versorgt?«
»Ich?« Ein empörter Aufschrei. »Ich weiß nichts von dieser angeblichen Schreiberei!«, übersetzte Regula. »Sie hat in der Küche gearbeitet, konnte nicht lesen und wusste nicht mit der Feder umzugehen, das werden dir auch die anderen bestätigen. Übrigens hätte ich ihr nie freiwillig etwas
aus unseren Vorräten abgegeben, selbst wenn sie hundertmal darum gebettelt hätte.«
»Das klingt nicht gerade freundlich«, sagte Leo. »Beinahe, als hättest du Magdalena nicht besonders gemocht.«
Suor Beatrice war aufgesprungen. Ihre Wangen hatten sich hochrot gefärbt, und auch Regula hielt es auf einmal nicht mehr länger auf ihrem Schemel.
»Keine von uns mochte sie«, rief Beatrice. »Sie war eine Außenseiterin. Ihr ganzes Leben hat sie nur Unfrieden und Unheil gestiftet, und selbst jetzt, wo sie tot ist, bringt sie uns noch immer nichts als Ärger ein. Magdalena war keine fromme Nonne, keine gute Schwester. Sie hätte niemals bei uns sein dürfen!«
Die Infirmarin nickte, nachdem sie fertig übersetzt hatte. Jedes von Beatrices harschen Worten schien direkt aus ihrem eigenen Herzen zu kommen.
Jetzt stieg Stellas Aufregung von Stunde zu Stunde. Am Nachmittag würden sie den Brautwagen besteigen und sich an der Seite ihrer Verlobten auf der Piazza della Commune den Bürgern Assisis präsentieren – wie konnte Ilaria da noch im Bett liegen und den sonnigen Morgen seelenruhig verschlafen?
Stella beugte sich über sie.
Sie war erhitzt und rosig wie immer, das weizenblonde Haar so zerwühlt, dass wieder stundenlanges Kämmen anstand, um eine halbwegs brauchbare Frisur hinzubekommen, was die untalentierte Zofe an diesem besonderen Tag erst recht zur Verzweiflung treiben würde.
»Alles muss klappen. Alles! «, hatte Simonetta dem Gesinde eingeschärft. »Dieser Tag ist sozusagen die Generalprobe
für die Hochzeit, und ich möchte keinerlei Patzer erleben, sonst habt ihr mit drastischen Konsequenzen zu rechnen – eine jede von euch!«
Stellas Blick fiel auf die duftigen Gewänder, die nebeneinander an der Wand hingen, weiß wie frisch gefallener Schnee, beide aus Seide gefertigt, wenngleich Ilarias Spitzenbesatz an Dekolleté und
Weitere Kostenlose Bücher