Braut von Assisi
ohne überflüssige Gefühle bedient hatte. Franziskus war der Erste, der zu den Vögeln gepredigt und den Wolf von Gubbio beschworen hatte, künftig keine Wanderer mehr anzufallen, damit er vom Tod verschont bliebe. Er hatte mit Bienen gesprochen und sich bei dem Esel bedankt, der ihn auf seinem Rücken getragen hat, ohne sich darum zu scheren, was andere von ihm dachten. Erst seine radikale Güte hatte den Menschen gezeigt, wie viel sie ihren Mitgeschöpfen zu verdanken hatten.
Plötzlich fühlte Leo sich getröstet und gestärkt, als stünde der Heilige direkt neben ihm. Ich gehe den Weg weiter, dachte Leo, auf den du mich geführt hast – und hatte auf einmal das Bild eines hochgewachsenen Ritters vor sich,
der seinen schüchternen Zweitgeborenen an einem eisigen Februarmorgen dem Abt des Ulmer Klosters übergeben hatte. Gerade sechzehn war er damals gewesen, schlaksig und immer hungrig, als hause ein Rudel Mäuse in seinen Gedärmen, das alles verschlang, was man ihm vorsetzte, seine Haut von eitrigen Unreinheiten entstellt, was ihn seit Monaten dazu gebracht hatte, penetrant zu Boden zu starren, weil er sich ihrer so inständig schämte.
»Du hast mich gelehrt, meine Augen wieder zu erheben und mit ihnen die Welt zu betrachten. Du hast mir beigebracht, mein Herz zu öffnen, ohne den Verstand zu vergessen. Dir bin ich schuldig, meine Mission getreulich zu erfüllen!«
Es klang wie ein Versprechen, das er soeben halblaut abgegeben hatte, und nun wusste Leo auch, wo er als Nächstes ansetzen sollte.
Da er zum Sacro Convento nicht reiten wollte, um keine sinnlose Diskussion heraufzubeschwören, wie Franziskaner reisen sollten, brachte er Fidelis zunächst in den Stall der Lucarellis zurück. Offenbar hatte sie sich in der Zwischenzeit mit einem der anderen vier Pferde angefreundet, einer zierlichen rotbraunen Stute, die sie eingehend beschnupperte, nachdem er sie zu ihr in den Verschlag gebracht hatte.
Ob Stella sie ritt?
Er schob den Gedanken schnell wieder beiseite, zuckte aber zusammen, als sie plötzlich in den Stall gelaufen kam. Sie trug ein schlichtes weißes Kleid mit schlichtem Spitzenbesatz an Ausschnitt und Ärmeln, das ihre aufgelösten Haare schwarz wie Ebenholz wirken ließ. Die Stirn zierte ein Kranz aus Myrthe und winzigen weißen Blumen. Sie duftete nach Mandeln und Rosenöl – und war so schön, dass ihm der Atem stockte.
»Verzeiht!« Ihr blasses Gesicht überzog sich mit flammender Röte, als sie ihn erblickte. »Ich dachte nicht … Ich wollte nur …«
Ilaria, die ihr schnellen Schritts gefolgt war, ebenfalls ganz in weißer Seide, jedoch mit deutlich üppigerem Spitzenbesatz geschmückt, begann sofort loszuplappern. Stella schaute zu Leo, der fragend die Schultern hob und wieder fallen ließ, weil er kein Wort verstanden hatte, und begann zu übersetzen.
»Nicht nur die Bräute bekommen heute reichlich Blumenschmuck, sondern auch die Pferde. Allerdings scheint das jemand in all der Aufregung vollkommen verschwitzt zu haben. Wir müssen zurück ins Haus und Bescheid geben, sonst stehen wir heute auf dem Prachtwagen ganz ohne die passend geschmückten Rösser da, und Mamma bekommt tatsächlich noch ihren Tobsuchtsanfall.«
»Die Hochzeit ist heute?« Die Verblüffung darüber stand Leo ins Gesicht geschrieben.
»Ma no, padre« , versicherte Ilaria temperamentvoll, während sie Stella dabei nicht einen Moment aus den Augen ließ und weiterplapperte.
»Nein, erst nächste Woche. Heute findet auf der Piazza della Commune lediglich die offizielle Verlobungszeremonie statt«, übersetzte Stella. »Die Bräute so unschuldig, die Bräutigame so schneidig und feurig!« Sie hielt inne, wirkte plötzlich noch verlegener. »Das hat sie gesagt, nicht ich.«
Ilaria zögerte kurz, dann griff sie beherzt nach Leos Hand.
»Ihr müsst auch kommen, padre , bitte!«, übersetzte Stella stockend. »Ein schöner alter Brauch dieser Stadt. Den solltet Ihr Euch keinesfalls entgehen lassen!«
Leos Hals war auf einmal wie zugeschnürt, und seine
Stimme klang dünn, als er antwortete. »Das ist doch eine reine Familienangelegenheit! Da will ich als Fremder nicht stören.«
Ilaria breitete die Arme aus, dann legte sie die Hände übereinander auf die Brust. Ihr Gesicht war konzentriert und verzückt zugleich.
»Heute, sagt sie, ist die ganze Welt ihre Familie.« Stellas Stimme war nur noch ein Flüstern. »So zum Sterben glücklich ist sie.«
Hatte sie ihn später beim Hinausgehen tatsächlich noch
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