Braut von Assisi
Konsequenzen, die er nun ertragen musste. Denn mittlerweile hatte sich auch bohrender Hunger gemeldet.
In seinem Sack fanden sich lediglich ein Stück Brot und ein Kanten Käse, die er beide verschlang. Doch der winzige Imbiss neckte seinen Magen eher, als dass er ihn gefüllt hätte.
Über kurz oder lang würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als seine Schale herauszuziehen und wie einstmals die ersten Brüder bettelnd von Haus zu Haus zu ziehen, was ihm bislang erspart geblieben war, denn die Arbeit der Mönche im Heimatkloster warf genug ab, um die Erträge sogar noch mit den Armen Ulms zu teilen.
»Ein jeder der Brüder soll ein Handwerk erlernen.« Diesen Satz des Heiligen hatte er besonders beherzt, wenngleich er sich beim Sägen und Hobeln in der kleinen Klosterschreinerei anfangs nicht gerade geschickt angestellt hatte. Zum Glück zeigte der alte Bruder Adam Geduld. Mit ihm schien das Holz auf geheimnisvolle Weise zu sprechen, so geschmeidig glitten Äste und Balken durch seine schwieligen Hände, und schließlich waren auch Leos Bretter glatt genug gehobelt, um Weiterverwendung zu finden.
Seltsam, dass er heute nach langer Zeit wieder an seinen einstigen Lehrherrn denken musste. Vielleicht weil der Mann, der dort mit einer Axt zugange war, Leo in Haltung und Statur an den längst Verstorbenen erinnerte? Der untersetzte, grauhaarige Bauer hielt gerade in der Arbeit inne, wischte sich den Schweiß von Stirn und Nacken und schlug dann ein Tuch auf, in dem er sein Essen eingewickelt hatte. Angesichts von Oliven, Schinken und Brot lief Leo das Wasser im Mund zusammen, doch er machte nicht
halt, um sich einen Teil zu erbetteln, sondern ging schnurstracks weiter, auf die Mauern zu, die das kleine Städtchen Spello umschlossen.
Nach einem Blick auf seine Kutte ließ man Leo unbehelligt das mächtige steinerne Tor passieren, was ihm Mut machte. Vielleicht waren die Menschen dieses Ortes Francescos Ordensbrüdern wohlgesinnt. Und tatsächlich winkte ihn schon nach ein paar Schritten eine ältere Frau zur Seite.
»Hai fame, padre?« , fragte sie freundlich. »Vieni!«
Und ob er hungrig war! Leo nickte und begann dann, in der fremden Sprache loszureden, was ihm offenbar nur unvollständig gelang, denn die Frau lächelte sichtlich amüsiert über seinen Versuch.
»Vieni!« , wiederholte sie schließlich. »Non è lontano.«
Schon hinter der nächsten Ecke führte sie ihn in ein niedriges Haus, wo auf dem Herd in einem großen Topf Suppe siedete. Ein köstlicher Geruch erfüllte den rußgeschwärzten Raum, und als sie eine Schüssel randvoll mit Gemüseeintopf gefüllt hatte, konnte Leo es kaum erwarten, seinen Löffel hineinzutunken und endlich zu essen.
Er schmeckte Bohnen und Knoblauch, Sellerie und zarte Möhren, geröstete Zwiebeln, die fast süß waren, Petersilie und das besondere Kraut, das sie hier salvia nannten. Die Alte hatte eine Scheibe Weißbrot, getränkt mit feinwürzigem grünlichen Olivenöl, dazugelegt, das Leo begeistert hatte, seitdem er es zum ersten Mal gekostet hatte.
»Köstlich!«, rief er, als er die Schüssel zum zweiten Mal bis zur Neige geleert hatte. »Ich meine natürlich … deli …« Er bekam den schwierigen italienischen Ausdruck trotz aller Bemühungen nicht ganz zustande.
Ihr Lächeln war breiter geworden. »Buono?« , bot sie ihm als Ersatzwort an.
Das war entschieden einfacher. »Sì« , rief Leo. »Buono. Molto, molto buono!«
Nach dieser Stärkung empfand er das Gehen nicht länger als Last. Und hatte nicht Franziskus gesagt, Wandern sei nichts anderes als Beten mit den Füßen? Leo streifte durch den Ort, füllte an einem der Brunnen seinen Wasserbeutel und legte schließlich in San Lorenzo eine kurze Andacht ein. Danach entschied er sich, Spello wieder zu verlassen, bevor die Stadttore zur Nacht geschlossen würden.
In einem nah gelegenen Olivenhain suchte er sich einen Platz unter einem der alten knorrigen Bäume und schlief müde und satt ein, kaum dass es dunkel geworden war.
Donner und Blitz weckten ihn in den Morgenstunden. Der Himmel war dunkel, als sollte es niemals wieder Tag werden, und die ersten dicken Tropfen fielen bald schon so dicht, dass Leo binnen Kurzem bis auf die Haut durchnässt war.
Auch wenn das Gewitter sich bald wieder verzog und die Sonne erneut herunterbrannte, sodass seine Kleidung rasch trocknete, lag doch auf diesem Tag eine Düsternis, die nicht mehr weichen wollte. Leos Weg nach Süden entbehrte nun die landschaftliche
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