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Braut von Assisi

Braut von Assisi

Titel: Braut von Assisi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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konnte sich nicht schon morgen wieder alles ändern – und er würde womöglich erneut unter Verdacht geraten?
    Mit diesem anonymen Brief musste es eine ganz besondere Bewandtnis haben. Jemand hatte sich auf seine Spur gesetzt, jemand, der ihn offenbar vernichten wollte. Allerdings hatte Leo bislang nicht die geringste Vorstellung, wer das sein könnte und aus welchem Grund er agierte.
    Unschlüssig bewegte Leo leicht den Kopf, was Morra offenbar als ein Nicken auffasste.
    Er rief die Büttel zu sich, und gemeinsam verließen sie das Haus. Abt Matteo, offensichtlich fest entschlossen, eine
Zwiesprache mit Leo tunlichst zu vermeiden, folgte ihnen auf dem Fuß.
    Stella wurde von ihrem Ziehvater fürsorglich, aber entschlossen aus dem Zimmer geführt. Wie eine Gefangene, dachte Leo und schämte sich im selben Moment für diese Gedanken, aber er konnte nicht anders. Die junge Frau hatte ihm mutig beigestanden, war es jetzt nicht an ihm, das Gleiche zu tun?
    Was sollte er sagen, um ihr zu Hilfe zu eilen? Sosehr er sein Hirn auch marterte, ihm wollten die richtigen Worte nicht einfallen.
    An der Schwelle blieb Stella stehen und schaute zu ihm um.
    »Gott sei mit Euch, padre «, sagte sie leise. »Er schützt die, die reinen Herzens sind. Das weiß ich.«

    Die Karte, die Karte, diese verfluchte und gleichzeitig gesegnete Karte! Inzwischen hasste Leo sie geradezu, so sehr bestimmte sie bereits sein Leben. Sie rief ihn mit Engelszungen, lockte ihn wie das verführerischste Weib, obwohl er solchen Verlockungen niemals erliegen würde, brannte in ihm – und ließ sich lediglich mit dem heiligen Versprechen beruhigen, dass er alsbald ihren Spuren folgen würde. Eine ganze Weile hatten die eingetragenen Orte ihm nichts gesagt, doch inzwischen hatte Leo durch geschickte Nachfragen in den beiden Klöstern und bei den Lucarellis herausgefunden, dass sie ausnahmslos etwas mit Francesco zu tun haben mussten.
    An allen hatte der Heilige sich mehrmals aufgehalten, offenbar dazu in wichtigen Phasen seines Lebens, manchmal viele Monate lang. Die Eremo delle Carceri, wo Fra
Giorgio auf grausame Weise ums Leben gekommen war, hatte lediglich eine Art Anfangspunkt gebildet. Später waren Franziskus und die ersten Brüder zu vielen anderen Orten gewandert, um dort in vollkommener Abgeschiedenheit Jesus Christus nah zu sein.
    Ob diese ausgesuchten Orte auch die Schönheit der Wälder und Höhlen des Monte Subasio besitzen würden? Mit einem Mal war Leo sich beinahe sicher, und große Aufregung erfasste ihn. Doch konnte er es wagen, trotz strikter gegenteiliger Anordnung Assisi überhaupt zu verlassen? Es gab nur einen einzigen Platz, um darüber endgültige Gewissheit zu erlangen, und genau zu diesem trieb es ihn nun.
    Vorsorglich hatte er bereits alles für den Aufbruch vorbereitet. Da war nur dieser kleine, mehrfach geflickte Ledersack, der ihn begleiten würde. Alles andere ruhte in den Satteltaschen, die er nach seiner Rückkehr in Lucarellis Stall ebenso wohlverwahrt wiederfinden würde, wie er sie zurückließ: die Kutte zum Wechseln, sein Dolch, den er hoffentlich niemals mehr benutzen musste, der Beutel mit Silbermünzen, die das heimische Kloster ihm aufgedrängt hatte, damit sein Begleiter und er ihr Ziel auch erreichten.
    Doch was hatten sie ihnen eingebracht? Nichts als Kummer und Leid, das sich niemals mehr würde gutmachen lassen.
    Geld ist wie Staub, dachte Leo in einem Anfall jähen Abscheus. Keiner hat das jemals zuvor so trefflich auf einen Begriff gebracht wie du, Franziskus!
    Jetzt hielt ihn nichts mehr in den gastlichen Wänden der Lucarellis, wenngleich der Gedanke an Stella ihn wie eine dunkle Wolke streifte. Sie ist auf einem guten Weg, versuchte er sich einzureden. Vielleicht trifft ja tatsächlich
zu, was ihr Vater geäußert hat, und sie ist kurz davor, ins Kloster einzutreten.
    Doch dann meldete sich wieder diese hässliche kleine Stimme zu Wort, die ihn schon vorhin gequält hatte, und behauptete das Gegenteil. Stella ist eine Gefangene, hörte er sie sagen. Sie wartet nur darauf, dass du sie befreist.
    Leo schüttelte den Kopf. Er war ein Mönch, ein Diener seines Ordens. Ursprünglich angetreten, um das Anliegen Chiaras zu überprüfen – und inzwischen auf ganz andere Pfade geraten. Er brauchte endlich Klarheit, eine Gewissheit, die ihn nicht länger zweifeln ließ.
    Er erhob sich, schulterte den Ledersack und verließ sein Zimmer. Die Treppe hinunter nahm er ganz leise, um nach dieser Nacht der Aufregung und

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