Braut von Assisi
Abwechslung, an der er sich am Vortag immer wieder ergötzt hatte, und führte ihn stattdessen durch eine sommerlich verbrannte Ebene, über der drückende Hitze brütete. Zwar glaubte er in der Ferne bereits die Umrisse von Montefalco auszumachen, wie der Name des nächsten größeren Ortes lauten musste, wenn seine Landkarte richtig war. Doch die Ziegeldächer und schlanken Kirchtürme narrten ihn, wollten und wollten nicht näher kommen, so tapfer er auch vor sich hinstapfte, sondern schienen sich wie von Zauberhand immer wieder zurückzuziehen.
Er schwitzte aus allen Poren, war durstig, musste aber
Wasser sparen, bevor er seinen Beutel erneut füllen konnte. Zudem hatte er noch keinen Bissen gegessen. Nimm dich gefälligst zusammen!, ermahnte er sich. Viele Märtyrer haben ganz andere Strapazen klaglos überstanden. Trotzdem spürte er, wie seine Stimmung immer weiter sank.
Ein Stück abseits der Straße sah er ein kleines Steinhaus, und er beschloss, den Umweg auf sich zu nehmen, um dort um Wasser und Essen zu bitten. Beim Näherkommen glich das Haus eher einer Ruine, und die junge Schwangere, die ihm mit fragendem Gesichtsausdruck entgegenkam, war so erschreckend mager, dass ihre Schlüsselbeine spitz durch das fadenscheinige Kleid stachen. Zwei schmutzige Kinder spielten um ihre Beine, ebenso dürr und ärmlich gekleidet wie ihre Mutter, und er begriff, wie bettelarm diese Menschen sein mussten.
Nun bereute er zutiefst, seine Schale bereits gezückt zu haben, doch die Schwangere nickte, noch bevor er umkehren konnte, lief breitbeinig zurück ins Haus und kam mit einem Kanten Brot und zwei Eiern zurück, die sie ihm nach kurzem Zögern in die Schale legte.
»È tutto quello che ho« , sagte sie errötend, und Leo verstand ausnahmsweise sofort. Das war alles, was sie hatte – und trotzdem wollte sie es ihm geben!
»No, no!« , rief er abwehrend, zog die Schale zurück und hielt sie dabei so ungeschickt, dass eines der Eier herauskullerte und auf dem Boden zerplatzte.
Fassungslos starrten die Kinder zu Leo empor, und die Welle glühender Scham, die ihn bei diesem Anblick überrollte, war so stark, dass seine Augen feucht wurden.
»Scusi!« , murmelte er, drehte sich um und floh regelrecht von diesem Ort. »Grazie. Scusi!«
Ein dicker Kloß saß in seinem Hals, der sich nicht mehr lösen wollte. Geld ist wie Staub, hatte Franziskus immer
wieder gepredigt und den Brüdern daher jeden Besitz strengstens untersagt. Aber konnte das auch gelten, wenn sie die schützenden Klostermauern verließen und durch die Welt zogen? Von den Armen zu nehmen, erschien Leo verkehrt, wenngleich sie freudiger zu geben bereit waren als die Reicheren, was er alsbald am eigenen Leib verspüren sollte, nachdem er etwas später das Örtchen Foligno erreicht hatte, wo er eine Rast einlegen wollte.
Hier waren die Häuser größer und um einiges besser ausgestattet, doch die schmale Straße, die zwischen ihnen hindurchführte, war leer, und er entdeckte nirgendwo eine Menschenseele, die er um ein Almosen hätte bitten können. Schweren Herzens entschloss er sich daher, an eine der verschlossenen Türen zu klopfen.
Der Mann, der ihm öffnete, sah Leo so hasserfüllt an, dass der seinen mühsam zurechtgelegten Satz lieber verschluckte und machte, dass er eiligst weiterkam. Nicht anders an der zweiten und an der dritten Türe.
Allmählich wuchs seine Skepsis. Waren die Menschen hier allen Fremden gegenüber so feindlich, oder lag es vielleicht an seiner Kutte, dass sie sich derart abweisend verhielten? Beinahe schon am Ende des Ortes angelangt, wagte Leo noch einen Versuch. Das Haus war offenbar alt, doch der Zustand erschien ihm einigermaßen ordentlich. Allerdings gab es da diesen großen Hund, struppig und grau, der es kläffend bewachte.
Leo kannte keine Angst vor Hunden. Auf Burg Falkenstein war stets ein ganzes Rudel um seinen Vater gesprungen, der sich daraus die besten Jagdbegleiter ausgewählt hatte, und seine Geschwister und er hatten mit Welpen gespielt, seit er denken konnte.
Mit diesem Tier jedoch verhielt es sich anders. Die Ohren angelegt, kam der Rüde näher. Das anfängliche Kläffen
war inzwischen einem tiefen, bedrohlichen Knurren gewichen.
Leo spürte, wie seine Beine sich instinktiv versteiften, und alles in ihm riet zu sofortiger Flucht. Da kam ihm abermals der Heilige in den Sinn. Hatte Francesco nicht mutig mit dem gefährlichen Wolf von Gubbio gesprochen und ihn durch seine liebevollen Worte dazu gebracht,
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