Braut von Assisi
von wirren grauen Haaren umgeben, mit einem riesigen Mund, der ständig in Bewegung war und ununterbrochen auf ihn einredete. Das männliche war schmaler und weniger faltig, dem weiblichen nicht unähnlich, doch sein Besitzer war weniger schwatzhaft.
Leo verstand ohnehin kaum etwas von dem, was auf ihn einprasselte. Sein Bein brannte, das Fieber hielt ihn nach wie vor fest im Griff, und er weilte zumeist in der Vergangenheit, Seite an Seite mit seinen toten Schwestern, die auf einmal wieder lebendig waren, zu vielerlei Scherzen aufgelegt.
Ab und an lichteten sich die Wolken seiner Benommenheit. Dann spürte er, dass er auf Stroh gebettet lag, in einem Raum, wo weder Sonne noch Regen ihm etwas anhaben konnte. Dass man ihm ab und zu Wasser sowie einige Löffel Suppe einflößte, die er mühsam schluckte. Dass irgendjemand sich um ihn kümmerte, obgleich er nicht einmal die schäbigste Kupfermünze besaß.
Er sank zurück in wirre, bunte Träume, die ihn teils ängstigten, teils aber auch sehr belustigten, denn in ihnen wiederholte er jeden nur denkbaren Schabernack aus seinen Jugendtagen aufs Neue. Klein und dünn war er wieder, ein schmales Hemd, wie sein Vater ihn immer genannt hatte, flink auf den Beinen und niemals um eine Ausrede verlegen, wenn er zum wiederholten Mal etwas angestellt hatte.
»Dobbiamo ricoprire la sua ferita con i peli del cane che lo ha morso …«
Die fremden Worte trafen seinen Kopf wie federleichte Bälle und prallten ebenso wieder von ihm ab. Die Gegenwart war nichts als ein unfassbarer Traum. Dagegen schien alles längst Vergangene sehr viel realer.
»Was soll nur aus dir werden, mein Junge?«, hatte der ständig wiederkehrende Seufzer seiner Mutter gelautet. »Eines Tages wirst du noch als mittelloser Gaukler auf der Straße landen, wenn du so weitermachst!«
»Ein Mönch!«, rief Leo ihr nun im Traum fröhlich entgegen, und anstatt wie früher zu schimpfen, verzog sich ihr markantes Gesicht in ungläubigem Spott.
»Du – ein Mönch? Niemals, Leonhart! Du bist und bleibst ein Spieler!«
Wieder stand er vor ihr, äußerlich bebend und innerlich zitternd vor Nervosität, weil er ja selbst kaum daran glauben konnte, und dennoch fest entschlossen, sie von seiner Entscheidung zu überzeugen.
»Ich will ihm nachfolgen – Franziskus, dem zweiten Heiland der Welt. Er liebte Gesang und Tanz aus tiefstem Herzen. Und er liebte die Menschen und die Tiere, so wie ich.«
Waren seine Lippen auch damals schon so spröde und rissig gewesen? Leo dürstete nach Wasser. Und nach ihrer Aufmerksamkeit, die stets dem Erstgeborenen und seinen älteren Schwestern gegolten hatte.
Wer war er eigentlich auf Burg Falkenstein gewesen?
Kaum mehr als eines der zahlreichen Tiere, die dort geboren und großgezogen wurden, weil sie einfach da waren – nicht anders war er sich oftmals vorgekommen. Erst als der Bruder einmal schwer erkrankt war, galt ihm die väterliche Aufmerksamkeit für kurze Zeit, doch als Ulrichs eingefallene Wangen wieder voller wurden, verflog sie so flugs, wie sie gekommen war. Damals hatte Leo begriffen, weshalb sie ihn überhaupt gezeugt hatten: als Ersatz. Nur für den Fall, dass dem Ältesten und Erben etwas zustoßen würde.
»Mutter!« Abermals rief er inbrünstig nach ihr, kaum anders, als er es sicherlich als Junge getan hatte, in jenem lang zurückliegenden, glühend heißen Sommer, als plötzlich juckende grellrote Pusteln seinen ganzen Körper überzogen hatten und er felsenfest davon überzeugt gewesen war, in den nächsten Stunden sterben zu müssen. »Mutter, Mutter – bitte hilf mir!«
Plötzlich war da eine weiche, kühle Hand. Ihre Hand, Leo war sich ganz sicher. Nur sie hatte ihn so zärtlich und
gleichzeitig schützend berührt. Nur sie allein wusste, wer er war.
»Mutter?«, flüsterte er, bereits halb getröstet. »Bist du gekommen?«
»Ich bin es, Stella.« Die kühle Hand blieb wohltuend auf seiner glühenden Stirn liegen. »Und offenbar gerade noch rechtzeitig gekommen. Wisst Ihr, padre Leo, was diese Wahnsinnigen Euch gerade antun wollten? Hundehaare auf die entzündete Wunde legen! Das freilich hätte Euren sicheren Tod bedeutet.«
Er hörte, wie sie mit den beiden inzwischen vertrauten Stimmen stritt, heftig, auf Italienisch, und wieder entzogen sich ihm die Worte, verwoben sich zu einer singenden Melodie, deren Schärfe ihm nicht entging.
»Ho dei soldi.« Stella klang plötzlich so resolut, wie er sie noch nie zuvor gehört hatte.
Sie hatte Geld
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