Braut von Assisi
sie unwillkürlich errötete.
»Ich fühle mich besser – sehr viel besser!«, rief er. »Endlich kann ich wieder halbwegs klar denken.« Er zog die Schultern hoch. »Das alles verdanke ich Euch und diesem geldgierigen Bader mit seinen geheimnisvollen Zaubermitteln. Woher er sie auch beziehen mag – zu helfen scheinen sie zumindest.«
Er zog einen schmalen Streifen Pergament von seinem Bein, der in Brotrinde gewickelt war, und begann vorzulesen: »›Bestera + bestie + brigonay + dictera+ sagragan + fes+ domina + fiat + fiat + fiat.‹ Ich habe nicht die geringste Ahnung, was das alles bedeuten könnte.«
»Das ist kein Italienisch«, sagte Stella kopfschüttelnd. »Solche Worte habe ich niemals zuvor gehört.«
»Nein, und auch mit Latein besitzt es allenfalls vage Ähnlichkeit. Ich kann nur hoffen, dass ich dieses verschmierte Zauberzeug nicht auch noch essen muss, um ganz gesund zu werden.« Leo begann zu grinsen.
»Ihr dürft nicht übermütig werden!«, warnte ihn Stella. »Ein Rückschlag und …«
»Es wird keinen Rückschlag geben. Ich spüre, dass meine Kräfte zurückkehren. Aber weiterziehen muss ich allein. Das versteht Ihr doch, Signorina Stella!«
Enttäuschung stieg in ihr auf, doch sie war nicht bereit, sich geschlagen zu geben.
»Wie wollt Ihr Euch durchschlagen, ohne unsere Sprache zu beherrschen? Habt Ihr nicht schon zur Genüge zu spüren bekommen, wohin Euch dieser Eigensinn führen kann? Was mich betrifft, so kehre ich ohnehin nicht mehr
nach Assisi zurück. Nicht nach allem, was inzwischen geschehen ist.«
Sein Blick war warm, aber zweifelnd. »Ich möchte auf den Spuren des Heiligen die Wahrheit suchen«, sagte er, »und dabei die vollkommene Armut leben. Das wäre nichts für Euch – eine Tochter aus reichem Hause!«
»Simonetta und Vasco sind nicht meine Eltern«, konterte Stella. »Gut möglich, dass ich aus sehr einfachen Verhältnissen stamme. Armut schreckt mich nicht. Und dieses Land ist reich und üppig. Niemand muss hier verhungern. «
Nun sah er sie anders an, verblüfft, beinahe bewundernd. »Wie sollte das angehen, Ihr und ich zusammen unterwegs? «, fragte er leise. »Ein Fremder im Mönchsgewand der Franziskaner und eine schöne junge Frau, die von hier stammt. Die Leute werden reden und womöglich falsche Schlüsse ziehen.«
»Und wenn schon! Wir haben doch nichts zu verbergen! «, rief Stella leidenschaftlich. »Ihr seid ein heiliger Mann – und ich helfe Euch lediglich dabei, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Was sollte daran schon verkehrt sein?«
»Da täuscht Ihr Euch gewaltig. Ich bin alles andere als heilig«, protestierte Leo. »Allenfalls bin ich ein Suchender, der halb blind seinen Weg zu finden trachtet.«
»Dann lasst mich Euch wenigstens darin unterstützen! Nur wer mit allen Sinnen zu suchen bereit ist, kann schließlich auch fündig werden.«
Seine Züge entspannten sich.
Sie hatte ihn erreicht, das spürte sie, wenngleich er noch immer zurückhaltend blieb.
»Nun gut«, sagte Leo nach einer Weile. »Probieren können wir es. Fidelis wird uns nach Rieti bringen. Der
beste Ausgangspunkt, um die Einsiedeleien im heiligen Tal aufzusuchen.«
Er hatte wir gesagt und uns . Stellas Herz begann vor Freude und Aufregung schneller zu schlagen. Hatte er eingesehen, dass er ohne sie nicht weiterkommen würde?
»Darf ich einmal auf diese Karte schauen?«, fragte sie vorsichtig.
»Bedient Euch!« Leo schob ihr das Pergament hin, damit sie es genauer sehen konnte.
»Das hier erinnert mich an ein Kreuz«, murmelte Stella. »Seht doch nur, padre ! Wenn man sich diese vier Orte durch eine Linie miteinander verbunden vorstellt: Schon hat man ein Kreuz.«
»Noch mehr gleicht es für mich einem τ«, sagte Leo. »Tau ist sowohl ein griechischer als auch ein hebräischer Buchstabe, das Zeichen, das Franziskus als Symbol für unseren Orden gewählt hat.« Er zeichnete es mit dem Finger nach. »Es steht für Segen und Frieden und verbindet die ganze franziskanische Familie. Auch seine Briefe hat der Heilige oftmals damit unterschrieben und das Zeichen an viele Wände gemalt.«
»Dieses Zeichen habe ich bei unserer Wirtin gesehen!«, rief Stella. »An einer Wand, unten, in der Stube. Und als ich sie danach gefragt habe, sagte sie, die heiligen Tauben hätten es ihr eines Tages gebracht.« Sie starrte auf die Karte. Dann tippte sie aufgeregt auf eine Stelle. »Fonte Colombo! «, rief sie. »Seht nur! Die Taubenquelle. Das muss sie damit gemeint
Weitere Kostenlose Bücher