Brautflug
verbittert. Einmal ist sie in seinem Schrank zufällig auf einen Stapel Fotos von jungen Leuten gestoßen, alle leicht bekleidet. Es ist nicht einfach. Wenn sie versucht, darüber zu sprechen, bringt er kein Wort heraus. In allem ähnelt er Derk, dem Vater, der nichts mehr von ihm wissen will.
Danny, in Auckland, ist das Kind, auf das sie insgeheim am stolzesten ist, für das sie am meisten empfindet. Das ist schon immer so gewesen, auch wenn sie das vehement abstreiten würde, wenn jemand ihr das so direkt vorhalten würde. Er ist zum allgemeinen Erstaunen von einem kleinen, dicken und ungeschickten Männlein herangewachsen zu einem großen, spindeldürren Schlaks, der Größte der drei Geschwister, um dann von seinem zwanzigsten Lebensjahr an langsam wieder in seinen Körper zurückzufallen, bis dieser die richtige Form annahm und er zu einem gut aussehenden, starken Kerl wurde. Er ist der Hübscheste der drei. Er ist Sozialarbeiter geworden und hat einen geselligen, warmherzigen Charakter. Bridget und er haben viele Freunde, und die Kinder kommen gerne und oft nach Hause. Dort geht es laut und fröhlich zu, mit Hunden und Musik. Danny spielt in einer Band, seit Jahren schon in derselben. Es ist eine Gruppe von Freunden, die nur noch auf ihren eigenen Feiern auftreten, um dann dort von ihren Kindern ausgelacht zu werden. In die Kirche geht er schon lange nicht mehr, und die Kinder interessieren sich nicht für Religion. Die älteste Tochter spielt wunderbar Klavier und hat das Konservatorium besucht.
Obwohl Julie, die ganz in der Nähe wohnt, sich am meisten um Ada kümmert, ist Danny derjenige, der sie wirklich versteht. Auch das ist schon immer so gewesen. Er sieht, wie still ihr Leben mit seinem alten Vater ist. Mum, fragt er immer wieder, warum ziehen Dad und du nicht nach Auckland, in
Ons Dorp
, zu den pensionierten Holländern, herrlich in die Sonne, und du wärst nie allein? Wenn du willst, kann ich es noch heute für dich organisieren. Ada würde das gerne tun, aber Derk sieht darin keinen Sinn. So ein Umzug kostet Geld und bringt eine Menge Unannehmlichkeiten mit sich. Zudem weißt du nie, wie die neuen Nachbarn sind.
Nun ja, sie wird ihre beiden Söhne nach der Beerdigung besuchen und dann die ganze Geschichte erzählen, so wie sie es vorgestern am Strand mit Julie getan hat. Sie wird alles ehrlich erzählen, die Details allerdings wird sie weglassen. Erwachsen oder nicht – Kinder wollen ihre Mutter nicht ohne Unterwäsche mit einem Mann sehen, der nicht ihr Vater ist. Und genauso wenig, wie sie einen Brautschleier aus weißer Gaze um ihren nackten Körper legt, während der Mann sich nach hinten aufs Bett fallen lässt, um dabei zuzusehen, wie sie sich in einem lasziven Tanz aus dem Schleier wieder herausdreht.
Und doch haben sie ein Recht auf die Wahrheit. Sie werden schockiert sein, genau wie Julie, aber es gibt keine andere Möglichkeit. Es wird auch eine Erleichterung sein, denn sie werden einige Dinge besser begreifen, die sie nie wirklich verstanden haben. Dinge, die sich abspielten, nachdem ihre Mutter zu ihnen von ihrer geheimnisvollen Reise zurückgekehrt war. Zum Beispiel, wenn sie sie am helllichten Tag im Bett vorfanden, flach auf dem Bauch, leise klagend, als hätte sie Schmerzen, mit dem Gesicht in einem bunt gestreiften Sommerkleid wühlend. Ein Kleid, das ihnen unbekannt war, weil ihre Mutter es nie, aber auch wirklich niemals trug.
17
Der Brief war an sie adressiert. Ada van Holland. Sie wurde nicht angesprochen in ihrer Funktion als verheiratete Frau. Es stand nicht: MrsVisser oder vielleicht auch: MrsVisser-van Holland, nein, dort stand: »Ada van Holland«. Es war ein dicker Umschlag, und darauf klebte eine beachtliche Anzahl von Briefmarken. Weil Ada selbst die Post austrug, bekam sie ihn als Erste in die Hände. Als sie ihn umdrehte und den Namen des Absenders sah, wusste sie, dass sie diesen Brief nicht zu Hause auf den Tisch legen würde. Sie strampelte energisch gegen den Wind an und radelte durch die ihr zugeteilten Gegenden, um Zeitungen, Briefe, Karten oder Pakete in die betreffenden Briefkästen zu legen. Die ganze Zeit über brannte der Umschlag in dem linken Fach ihrer schweren Posttasche, die über dem Gepäckträger hing. Erst als sie nach ein oder zwei Stunden Plackerei den Fluss erreicht hatte und sich außer Sichtweite der neugierigen Augen unten auf die großen Steine setzte, wagte sie ihn zu öffnen.
Martinborough, April 1961
An Ada van Holland, die
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