Brautflug
sich nach vorn über die Flamme zu beugen. Sie hält sein Handgelenk fest in ihrer Hand. Ein warmes, pochendes, breites Männerhandgelenk, das Handgelenk ihres Sohnes. Sie saugt das Feuer durch die Zigarette bis in ihre Seele hinein. Als sie sich wieder aufrichtet, sieht sie in andächtige, graugrüne Augen. Nach zwei-, dreimal inhalieren wird sie etwas ruhiger und fragt, ob er auch eine Zigarette möchte. Er nimmt das Angebot an und stellt sich ihr dann vor. »I am Robert.« In einiger Entfernung stehen Ada und Marjorie und unterhalten sich mit dem Mädchen. »Wie viele Kinder hast du?«, fragt Esther, als sie beide rauchen. Ihre Hände zittern noch immer, sie hält den Unterarm gegen ihren Körper gedrückt. Ihre Muskeln sind wie zu kurz gespannte Stahldrähte, und sie weiß, dass sie heute Abend lange in ihrem Hotel in der Badewanne liegen wird, um wieder zu sich zu kommen. »Drei«, antwortet er, »drei Töchter. Und eine Frau. Ich habe es gut getroffen.« Seine Stimme hat ein angenehmes, dunkles Timbre. Drei, hallt es in ihrem Kopf, drei Töchter, drei Kinder, drei, drei, drei, ich habe drei Enkelkinder. Sie weiß, dass Marjorie sie beobachtet.
Um sie herum steht eine riesige Ansammlung schwarz gekleideter Menschen, dennoch surren die Stimmen nur gedämpft. Als der Sarg aus der Empfangshalle nach draußen getragen wird, weichen die Gäste ehrfurchtsvoll auseinander. Sie alle sollen hinter dem Sarg in einer langen Reihe durch das Feld zum Friedhof laufen. Marjorie packt ihren Sohn fest am Arm. »Sehe ich dich da rauchen?« Er tätschelt ihr beruhigend die Hand. »Nein, da täuschst du dich.« Dann hakt Marjorie ihren gesunden Arm unter den seinen und führt ihn von Esther weg.
Robert, denkt Esther, Robert. Und dann:
Bobby darling
.
Der Tod macht alles definitiv. Der Zug bewegt sich träge durch die Felder, und Ada hat alle Zeit der Welt, um die Landschaft in sich aufzunehmen, um die weißen Netze zu sehen, die über den Sträuchern hängen. Sie hat immer gedacht, sie würde früher zurückkommen. Angst hat sie davon abgehalten, und sieh nur, jetzt ist ihr die Entscheidung abgenommen worden, und sie läuft neben Esther dem Sarg hinterher. Vor ihnen spaziert Marjorie, flankiert von ihrem Sohn und ihrer Enkeltochter. Die Sonne steht tiefer, und trotz allem genießt Ada die Wärme, die jetzt samtweich ist. Der Sarg ist auf eine Bahre mit Rädern gestellt worden und wird von sechs jungen Männern im Schritttempo vorwärtsgerollt, drei auf jeder Seite, Angestellte des Weinguts. Etwas weiter hinter dem Sarg läuft die alte Maori-Frau, die bei Frank Wache gesessen hat. Neben ihr ein ebenso alter Maori-Mann, es wird wohl ihr Ehemann sein. Ada, die sich irgendwo in der Mitte des langen Zuges befindet, kann ihn nicht richtig sehen, doch in der Tiefe ihres Herzens weiß sie, wer es ist. Und auch, dass sie ihn später treffen wird. Mozie.
Doch was sie dann sagen soll, weiß sie nicht.
Sie heftet ihren Blick auf die Hacken von Marjorie, auf die breiten Knöchel, die senkrecht aus den Schuhen herauswachsen. Marjories Sohn ist Architekt geworden. Ihre eigenen Kinder haben es nicht so weit gebracht. Julie, in Hokitika, arbeitet in der Touristeninformation, jetzt, wo die Kinder groß sind. Ihr Schwiegersohn Gary fährt Lastwagen, allerdings nur in den Phasen, in denen er nicht trinkt. Julie ist eine liebe, sorgsame Tochter, aber ein bisschen bossy, mit einer energischen Stimme, die einen ziemlich anfahren kann, wenn sie überreizt ist – was sie fast immer ist. Wenn Ada ihrem guten Rat nicht folgt, wird sie böse. Aber es ist immer alles gut gemeint.
Pete, in Kerikeri, lebt allein, in einem Haus, in dem es nach verbranntem Kaffee riecht. Er bereitet ihr am meisten Sorgen. Er hat seine Frau und Kinder verlassen, als er entdeckte, wo seine Vorliebe lag. Derk verweigert seitdem jeglichen Kontakt, aber Ada fliegt einmal im Jahr dorthin. Öfter geht es nicht. Es ist einfach zu weit und das Ticket dorthin zu teuer. Doch sie weiß nicht, ob das der wirkliche Grund ist. Er arbeitet als Versicherungsvertreter für eine große Firma. In seiner freien Zeit erledigt er kleine Arbeiten für die Kirche, genau wie sein Vater das immer getan hat. In der Kirche wissen sie nicht, warum er allein wohnt. Vielleicht wissen sie es auch, stellen aber keine Fragen. Letztes Jahr ist er im Urlaub auf Bali gewesen, allein. Ada wird immer ein bisschen traurig von den Besuchen bei ihm. Er ist so ein sanftmütiger Mensch, doch er ist trübselig und
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