Brautflug
verständlichen Akzent und von einer blonden Werkstudentin, die eine derartige Lobeshymne auf das Ausbildungszentrum anstimmt, dass man meint, sie wollte eigentlich etwas anderes sagen. Obwohl Ada zu weit unten sitzt, um die Menge gut überblicken zu können, strengt sie sich an, den Ansprachen so gut es geht zu folgen, denn sie will wissen, wer er gewesen ist. Sie sucht zwischen den schmeichelnden Worten, die auf einer Beerdigung gesprochen werden, nach etwas, das
wirklich
über ihn gesagt wird. Das ist nicht einfach. Sie hört: »inspirierender Mann … leidenschaftlicher Weinbauer … jolly good boss … eine Autorität … unermüdlich … Verlust für die Gegend …«, und ihr bricht es erneut das Herz, alte Narben reißen auf, denn mit jeder Lobpreisung sieht sie ihn weiter in der Einsamkeit versinken. Hinter dem Pult steht kein Kind, welchen Alters es auch sein möge, das »Papa« sagt, keine Frau, die von ihrem »Liebsten« spricht, kein Bruder und keine Schwester, die von »unserem Frank« sprechen. Dankbar nimmt sie das Taschentuch an, das Esther ihr reicht, und wischt sich die Tränen fort. Und doch werden in den Ansprachen ständig Scherze gemacht, denen man entnehmen kann, dass er viele Freundinnen gehabt hat. Als Ada sich kurz umschaut, sieht sie dort tatsächlich noch einige andere Frauen sitzen, die ebenso tränenbedeckte Gesichter wie sie selbst haben. Einige sind in ihrem Alter. Die meisten sind erheblich jünger, was ihr einen leichten Stich versetzt. Aber wenn ihre Wahrnehmung sie nicht trübt, ist unter ihnen niemand Besonderes, niemand, der ihn von seiner Einsamkeit befreit hat. Sie schnäuzt sich die Nase und versucht, ruhig zu atmen.
Marjorie fühlt sich überhaupt nicht wohl. Ich hätte nicht kommen sollen, klopft es in ihrem Kopf. Alles ist jetzt unvermeidlich geworden. Bob kann jeden Moment mit Hannah zurückkommen. Ihr ist furchtbar warm. Außerdem ist dieses Sofa zu niedrig, und sie kann nichts sehen. Ihr Rock zwickt, und ihr Gips juckt. Es ärgert sie, dass Ada so betrübt ist, und auch, dass es Ada gelungen ist, ihre Figur zu behalten. Ihr steht der Sinn nach einem Sherry und etwas zu knabbern. Das selbstsichere Auftreten von Esther macht sie übernervös. Doch die Ansprachen finden kein Ende. »They’re such hard workers, the bloody Dutchies …« Um sie herum erklingt Kiwi-Gelächter, ha, ha, ha, diese Dutchies. Da siehst du es mal wieder, irgendwie bleibt man doch immer ein Fremder. Aus irgendeinem Grund kann sie es nicht ertragen, dass hier viel mehr Leute sind als auf der Urnenbestattung von Hans und dass sie alle so tun, als wäre Frank de Rooy unglaublich wichtig gewesen.
Esther hört die Ansprachen nur mit einem Ohr. Sie studiert die jungen Leute, die nebeneinander an der Wand lehnen. Vielleicht sind es Werkstudenten, die bei der Ernte helfen, oder Lehrlinge des Traubenblut Viticulture College. Man sieht asiatische Gesichter, weiße und polynesische, Kris steht zwischen zwei englisch aussehenden Mädchen, die ihre Taschen schräg über dem Bauch tragen und Cowboystiefel anhaben. Bei den Jungen hängen die Hosen tief. Ein paar haben Vollbärte, was Esthers Meinung nach altmodisch aussieht, ganz offensichtlich aber sehr modern ist. Bei den Mädchen schimmern nackte Bäuche zwischen T-Shirts und Röcken hindurch. Esther findet die Mode wüst und unvorteilhaft, aber die Kinder selbst sind wunderschön. Nicht, dass sie alle hübsch sind, weit gefehlt, doch sie verbindet alle das Wunder der Jugend. Wie ein Geheimbund haben sie sich von den Erwachsenen entfernt, und jede untereinander ausgetauschte Geste, jeder Blick, jedes geflüsterte Wort ist ein Code, den nur sie verstehen. Sie wissen, dass sie die Privilegierten in diesem Saal voller älterer Menschen sind. Ihr Irrtum ist, dass sie es als ihr eigenes Verdienst betrachten und davon ausgehen, dass es immer so bleiben wird. Esther denkt an das Luftrennen. Sie fragt sich, ob ihre Gruppe bei der Ankunft am Flughafen den gleichen Eindruck auf das ältere Publikum gemacht hat. Es ist schwer vorstellbar.
Die großen Holztüren werden von der Mitte her langsam aufgedrückt, ein paar junge Leute treten zur Seite und lassen eine Altersgenossin durch, ein großes, hübsches Mädchen mit einer energischen Ausstrahlung. Sie hat dunkle Locken und einen selbstbewussten Blick. Das Mädchen bleibt an der Tür stehen. Hinter ihr steht ein Mann mittleren Alters, mit einem zufriedenen Gesicht und einem nonchalanten, aber gut geschnittenen
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