Brautflug
Fahrradteile. Als ich hörte, dass irgendwo in der Umgebung noch ein Holländer arbeitete, setzte ich die Wrackstücke provisorisch zusammen, und auf diesem Haufen Blech fuhr ich vierzig Kilometer weit. Dort angekommen, hieß es, der Mann sei irgendwo anders hingeschickt worden. Als ich zurückradelte, war ich heartbroken, ich habe kein anderes Wort dafür, obwohl ich den Mann gar nicht kannte. Zwei Monate später, zu Weihnachten, wurde es dann erst richtig schlimm. Ich unternahm eine stundenlange Zugreise nach Wellington, um zur Christmette zu gehen – ich, der überhaupt nicht gläubig ist –, denn mir wurde erzählt, dass dort viele Holländer hingingen. An dem Tag stürzte im Norden ein Zug von einer Brücke geradewegs in den tosenden Whangaehu River, und in dem Zug saßen viele Niederländer, auf dem Weg zu ebendieser Christmette. Erschütterung in der Kirche, es gab Hunderte von Toten. Der Priester versuchte, uns in seiner Predigt aufzurichten, so etwas geschehe nicht ohne Sinn, Gott habe damit etwas gemeint, es solle uns alle läutern. Trotz der frommen Worte waren die Kirchgänger in Panik über das Schicksal ihrer Verwandten. Um eigennützige Aufmerksamkeit zu bitten schien außerordentlich unpassend. Daher ließ ich die Hoffnung auf eine Einladung sausen und trottete zurück zu meinem Hotel, in dem ein paar Kiwis sternhagelvoll vom Bier in einem kühlen, ungemütlichen Raum Weihnachten feierten. In meinem Zimmer stank es nach unzähligen Zigaretten, die in Einsamkeit geraucht worden waren. Ich trug noch meinen Teil dazu bei. Am nächsten Tag reiste ich zurück zu der Farm und fand sie verlassen vor, alle waren am Boxing Day bei ihren Familien.
Und doch, allmählich fing ich an, das Leben in der Wairarapa zu schätzen. Bei Sonnenaufgang mit dem Pferd über die endlose Weite reiten. Vor dir keine Hindernisse außer den Hügeln in der Ferne, über die du dann nachher mit deiner Herde, mit Hund und Pferd ziehen wirst. Es ist ein gutes Land. Wenn du einmal oben auf den Hügeln bist, siehst du in der Ferne den Pazifik glitzern. Den ganzen Tag lang zogen wir über die Ebenen. Wir sagten uns, dass wir frei waren, was in der Natur recht einfach ist. Ab und zu mal ein Landwirtschaftsflugzeug, das brummend über uns hinwegzog. Die Herde, die Pferde, die Hirten, der Hund, wir verharrten dann einen Augenblick und verfolgten das Flugzeug mit unseren Blicken – das größte Ereignis unseres Tages. Bei Sonnenuntergang kehrten wir mit vierhundert Schafen zurück zum Hof. Dann hatten wir eine ganze Weide abgegrast.
Langsam dämmerte mir, dass die Schafbauern in diesem Land die eigentlichen Herrscher sind. Nun gut, dachte ich, dann werde ich wohl Schafbauer.
Ich lernte Wolle reinigen und sortieren und nahm Unterricht im Scheren (weil ich so einen Eifer an den Tag legte, fand jeder, dass ich ein echter Dutchie sei. Das bin ich hier erst wirklich geworden). Das Scheren wurde herumreisenden, professionellen Scherern überlassen, meist Maori. Etwa sechs raue, starke Kerle bestimmen dann tagelang das Leben auf dem Hof. Um fünf Uhr morgens fangen sie an. Dann folgt eine Stunde Frühstückspause, später immer wieder mal ein smoko. Scheren ist eine ermüdende Arbeit, auch wenn das möglicherweise vor allem am unaufhörlichen Lärm der Maschinen liegt. Sprechen ist nicht möglich. Das tun sie ohnehin nicht, sie scheren. Acht Stunden hintereinander, manchmal auch mehr. Bevor das Schaf mit der Wimper zucken kann, legen sie dieses unwillige Tier auf den Rücken und streifen dann in Windeseile mit einer Hand mit der schweren, messerscharfen Schneidemaschine den Pelz von der Haut ab. Mit den Schafen wird rau umgesprungen, es geht richtig blutig zu, denn die Messer sind scharf. Doch das ist das Geschäft. Auf diese Weise scheren die Männer etwa hundert Tiere am Tag, die ganze Zeit vornübergebeugt, während ihnen der Schweiß nur so herunterläuft. Die Frauen breiten die Wolle auf einem Tisch aus, der die Form eines Schildkrötenpanzers hat und sich dreht. Sie pflücken die Unregelmäßigkeiten heraus. Manchmal gelingt es den Scherern, die Wolle in einem Stück herunterzuholen, das die Frauen dann wie eine Decke ausschütteln. Die Decken stapeln sich auf, erst in einer Ecke, dann in allen Ecken, und schlussendlich kriechen die Decken regelrecht auf dich zu und ersticken dich.
Dann ist das Scheren wieder für ein Jahr erledigt.
Leider muss ich nun ein beschämendes Bekenntnis machen: Ich hatte keine Begabung dafür. Ich
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