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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Bleichen ins Gras. Sie bückte sich und richtete sich auf, immer wieder. Und jedes Mal bewegten sich die Falten ihres bunt gestreiften Rockes mit. Das kleine Mädchen trippelte glückselig hinter ihr her, trunken vom Geruch des frischen Grases, von dem der Wäsche und der geliebten Mutter. Als diese sich erneut nach vorn beugte, um ein Laken zusammenzufalten, ergriff Ada mit ihren dicken Kinderhändchen den Saum dieses fröhlichen, bunten Stoffes, und während ihre Mutter sich aufrichtete, hob die Tochter den Rock, so hoch es ging, in die Luft. Sie versteckte sich darunter, wie in einem herrlichen, warmen Zelt. Die Sonne schimmerte hindurch und tauchte alles dort drinnen in ein zauberhaft schönes Licht. Die nackten, kräftigen Beine ihrer Mutter stützten ihr Zelt. Ada kreischte vor Vergnügen, doch im selben Moment wurde der Rock über ihr mit einem starken Ruck weggezogen, und eine Hand legte sich wie ein Schraubstock um ihren Hals. Ihr Köpfchen wurde nach vorne gedrückt und geschüttelt. »Das darfst du nie, nie mehr tun.«
    Die Stimme ihrer Mutter war schrill und hoch vor Entsetzen.
    Eine dunkle Kraft beherrschte weiterhin ihr Handeln. Die unbeschriebenen Seiten in ihren alten Schulheften verwendete sie, um darauf zu zeichnen. Stundenlang füllte sie die Seiten mit Märchenfiguren, die von ihrer Phantasie zum Leben erweckt wurden, doch von ihrem zwölften Lebensjahr an begann ihr der Bleistift zu entgleiten, und sie fing an, nackte Frauen zu zeichnen. Mit dünnen Strichen malte sie behutsam das Dreieck aus und setzte dann sorgfältig die zwei Punkte auf ihren Platz auf den Halbkreisen. Noch bevor wohltuende Wärme sich über ihrem Körper ausbreitete, ergriff sie große Angst, und sie riss die Seite aus dem Heft heraus, ratlos. Sie konnte den schmutzigen Fetzen vernichten, sodass ihre Eltern ihn niemals finden würden, doch Gott sah alles und vergaß nichts. So stapelte sich Makel über Makel auf ihrer Seele.
    Nach ihrer Ankunft in London waren die vierundsechzig Passagiere in Bussen durch die Stadt gefahren und zu einem großen Hotel gebracht worden, wo sie beeindruckt durch die mit dicken Teppichen belegten Flure liefen. Es folgte eine Pressekonferenz und um acht Uhr ein offizielles Essen, üppig und vornehm. Es wurde leise gemeckert, dass man in Holland um halb sechs esse. Drei lange Tische, prächtig gedeckt, mit speziellen Menükarten, die man mitnahm, weil alles als Souvenir diente. Solche Dinge würden wertvoll werden, noch viel wertvoller, als sie sich das jetzt ausmalen konnten. Es gab Truthahn. Ada, deren Magen leer vom Übergeben war, aß gierig und starrte auf das Glas Rotwein, das vor ihr auf dem Tisch stand. Sie versuchte, so wenig wie möglich mit anderen ins Gespräch zu kommen, aus Angst, dass sie etwas erzählen müsste. Ihr Hotelzimmer teilte sie mit einem Mädchen, einer auffallenden Erscheinung mit dunklen Locken und einer tiefen, rauen Stimme, die nach dem Essen mit ein paar Journalisten in die Stadt verschwand. Ada war unbehaglich zumute, sie lag lange wach und starrte auf den antiken Wäscheschrank, auf den das Licht der Straßenlaterne fiel. Gegen vier Uhr morgens wurde am Schloss herumgedreht, und leise öffnete sich die Tür. Ada hielt die Augen geschlossen und stellte sich schlafend. Sie konnte nichts sehen, roch aber den Anflug eines schweren, süßen Parfüms, vermischt mit dem Dunst von Alkohol. Eine tiefe Frauenstimme pfiff im Badezimmer »Don’t fence me in …«, ein Lied, das jeder kannte. Am nächsten Morgen ließ ihre Zimmerkameradin die Würstchen und Bohnen an sich vorbeigehen. Ada fragte sich, ob sie eine vom gesegneten Volk war und ob ihr wohl Leid widerfahren sei. Nach dem Essen stand eine Bootsfahrt auf der Themse auf dem Programm. Außer dem dunklen Mädchen waren jedoch auch andere nicht aus dem Bett gekommen, und der Teil wurde gestrichen. Schlussendlich brachte man die ganze Gesellschaft in Bussen zurück zum Flughafen, wo sie gewogen wurden und ihre Tickets bekamen. Um zwölf Uhr folgte wieder ein gemeinsames Mittagessen, die Presse war dabei, die den Generaldirektor der KLM interviewte. »Es wird keine einfache Reise werden«, prophezeite er, »aber sie sind jung und noch nicht rheumakrank. Das Wichtigste ist, in Christchurch anzukommen.« Blitzlichter blendeten die Auswanderer, es wurden Fragen auf Englisch gestellt – der Preis, den Sie für den Ruhm bezahlen müssen. Ada versuchte, sich selbst unsichtbar zu machen, und zupfte an der gestickten Borte der

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