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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Tischdecke herum. Das Programm türmte sich auf wie eine riesengroße Welle in der Brandung, und sie musste sich konzentrieren, dass sie nicht vergaß zu atmen.
    Um etwa zwei Uhr wurden sie zu der Piste gefahren, wo die Wettkampfflugzeuge bereitstanden und die Piloten dem Herzog von Gloucester vorgestellt wurden. Eine Blaskapelle spielte. Obwohl Ada noch nie eine Nacht von zu Hause fort gewesen war, schien all das kaum zu ihr durchzudringen. Vielleicht waren all die Festlichkeiten einfach zu viel für sie.
    Wieder mussten sie warten. Der Himmel war bewölkt, das Wetter unfreundlich, genau der richtige Tag, um auszuwandern, darüber waren sich alle einig. Ein stetiger, lärmender Oktoberwind riss an den Jacken der Auswanderer und an Adas letzten Papillotenlocken. Ein Tosen wie am Tag des Jüngsten Gerichts, der Wind und die Flugzeugmotoren, ein Geräusch, das in ihren Ohren etwas Unwiederbringliches ankündigte, ein Ende oder auch ein Neubeginn – etwas, das alles verändern würde.
     
    Um nicht zu verloren dazustehen, gesellte Ada sich zu einer Gruppe, die zusah, wie ein hageres Mädchen in einem Brautkleid posierte, nahe bei ihrem Flugzeug, unter den großen Buchstaben »Flying Dutchman« und der Nummer einundzwanzig, ihrer eigenen Nummer.
    In einem Arm hatte das Mädchen einen Blumenstrauß, mit dem anderen winkte sie den unsichtbaren Daheimgebliebenen, und jedes Mal, wenn sich ihr Arm in die Luft hob, griff der Wind unter ihren Schleier, sodass er vor ihrem Gesicht flatterte. Die Gabardinejacken – die mit ihnen mitgereist waren – sahen von oben in ihre Kameras und schrien nach mehr, und das Mädchen winkte immer wieder und schlug erneut den Schleier aus dem Gesicht. Es war ein ziemlicher Kampf, doch sie schien noch immer begeistert und lachte und winkte und zog den weißen Tüll unermüdlich zurück. Nur ihre Wangen wurden immer röter, wie Ada bemerkte. Irgendwo im Hintergrund stand der einsame junge Mann, eine Hand locker in der Hosentasche. Er lächelte, als würde er das ganze Posieren für bloßes Gehabe halten. Er sah verfroren aus, die Art, wie er seine Zigarette herumdrehte, ehe er einen Zug nahm, erinnerte sie an ein Foto in der Vitrine der Dorfkneipe, wo samstagabends Filme gezeigt wurden, die sie nie sehen durfte. Auf ihr Fahrrad gelehnt, hatte sie dieses Foto endlos lange studiert, bis sie meinte, genau zu wissen, welche Geschichte sich dahinter verbarg. Auch diesen Mann umgab eine Geschichte. Sie sah ihm nach, wie er davonschlenderte, in Richtung eines Mannes hinter einer Staffelei, der ihre Liftmaster in Ölfarben verewigte.
    Links von der Liftmaster stand die Viscount der Engländer und rechts die Hastings der Neuseeländer. Das war die ganze Handicapklasse. Es waren Länder ausgefallen, sie wusste nicht warum, denn sie hatte nicht alle Zeitungsartikel gelesen und nicht allen Reden zugehört. Die Flugzeuge brummten laut und ohne Pause. Es war, als würden sie ungeduldig mit den Rädern scharren, als würden sich die Spanten im Rumpf für den Start spannen, der immer näherrückte. Sie würden gewinnen, wurde erklärt, die KLM hatte alles genau berechnet. So ein Wettkampf wie dieser wird ohnehin bereits auf dem Papier gewonnen. Das hatte sie irgendwo gelesen, wieder so ein Satz, der einem im Kopf hängenblieb. »So ein Wettkampf wie dieser wird ohnehin bereits auf dem Papier gewonnen«, sagte sie von Zeit zu Zeit lässig zu sich selbst. Diesen Satz ohne Erröten zu jemandem zu sagen, so viel Mut konnte sie nicht aufbringen.
    Als Letzter in einem Handicaprennen anzukommen bedeutete nicht, dass man verloren hatte. Sie waren schwer beladen – vierundsechzig hoffnungsfrohe junge Menschen – und hatten ein günstiges Handicap. In etwa so, als hätten sie einen Buckel oder einen Humpelfuß, der einem alle möglichen Vorteile verschaffte. So wie der steinalte Gärtner in ihrem Dorf, der in einem Neunziggradwinkel gewachsen war und daher ganz vorne beim Harmonium sitzen durfte.
    Die Liftmaster war der Favorit, doch durch all die Reden waren nun doch alle aufgeregt, schließlich konnte man nie wissen, was unterwegs passieren würde, und es ging um die Ehre ihres Landes. Sie schienen damit so beschäftigt, dass Ada sich über die Gleichgültigkeit schämte, die sie bei sich selbst wahrnahm. Fortwährend versuchte sie den richtigen Gesichtsausdruck zu finden, um in der ganzen Aufregung nicht aufzufallen.
    In einiger Entfernung standen die fünf Canberras – Bombenwerfer, hatten ihre kleinen

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