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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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zurücksprang. Der Wagen machte eine scharfe Wendung über den Hof, Sand, Grasbüschel und Kiesel flogen durch die Luft – oder war es eine Kugel? Dann raste er vom Grundstück hinunter. Ada sah die tiefe Spur, die die Reifen in der Erde hinterließen. Und auch, wie Frank darüber hinwegsprang und dem Taxi mit dem Gewehr im Anschlag hinterherrannte, wie er schließlich stehen blieb und das ganze Magazin leer schoss, in Richtung des allmählich verebbenden Geräusches des Autos. Als keine Kugel mehr übrig war, blieb er in derselben Haltung wie erstarrt stehen, und erst nach einer Weile ließ er das Gewehr sinken. Auch Mozie ließ die Arme sinken, doch keiner der drei bewegte sich. Sie standen da wie Standbilder, überfallen von der Polarnacht. Ein Eisregen ging auf den Hof nieder.
     
    Im Dunklen lehnte sie an der Wand. Niemand sagte etwas. Frank saß wie erstarrt auf der Sofakante und blickte auf etwas, das für Ada nicht sichtbar war. Mozie war zu seinem Wohnwagen gegangen. Im Flüsterton hatten sie beim letzten Licht des glimmenden Holzes gekauert und gemeinsam überlegt, ob sie warten sollten, bis die Polizei kam. War Derk verwundet, oder hatte Frank danebengeschossen? Denkst du, fragte sie schaudernd, dass Frank wirklich vorhatte, ihn zu töten? Wenn er ihn hätte töten wollen, erwiderte Mozie sachlich, dann wäre dein Mann jetzt tot. Er schießt fliegende Vögel aus der Luft ab. Es muss ihn einige Selbstbeherrschung gekostet haben, danebenzuschießen. Was ist mit ihm los, fragte sie flüsternd weiter. Ich weiß es nicht, sagte Mozie und zog die Schultern hoch, ich weiß es wirklich nicht. Über solche Dinge sprechen wir nicht. Als der letzte Holzblock zu kalter Asche zerfallen war, die Polizei nicht auftauchte und auch Derk nicht zurückkam, ließ Mozie sie bei Frank zurück. Mit einem nassen Geschirrtuch betupfte sie vorsichtig sein übel zugerichtetes Gesicht und sagte nichts, weil ihre Worte ihn durch die dicke Eiswand hindurch nicht erreichen würden. Danach lehnte sie an der Wand im Dunkeln und schwieg lange Zeit. Als ihr die Glieder steif wurden, löste sie sich von der Wand, öffnete den Wasserhahn und ließ Wasser in die Badewanne einlaufen.
     
    Ich ertrage es nicht, sagte er, der Mann kann dich nicht glücklich machen, er hat dich in eine Transportkiste gesetzt. Von dem Anblick bin ich fast verrückt geworden, jahrelang. Warum, fragte sie, warum jahrelang, warum so dramatisch? Ich war eine gesunde, junge Frau, so eine Fahrt überlebe ich schon, es ist doch schließlich alles gutgegangen. Er hat dich nicht glücklich gemacht, sagte er. Nein, sagte sie, aber das ist auch meine eigene Schuld. Hör auf damit, brüllte er und schoss aus dem Bad hoch, um dann mit ebensolcher Wucht wieder zurückzufallen, sodass das Wasser durchs ganze Badezimmer spritzte. Hör auf mit dieser ewigen Schuld. Mit dem Schwamm in der Hand ging sie erschrocken zwei Schritte zurück, ihr Kleid war klatschnass, er brüllte wie ein Besessener. Du hast an gar nichts Schuld, lass dir das nicht einreden, lass dir verdammt nochmal nichts einreden, geh nie mehr dorthin zurück, Ada. Du wirst immer mit dem Hass des Rechtschaffenen behandelt werden. Dort wartet keine Vergebung auf dich, als Paket mit Schleifchen, keine Überraschung, weil du nach Hause kommst, nein, weit gefehlt: Du wirst für immer allein sein in diesem Haus, er setzt dich den Rest deines Lebens in eine Transportkiste, und du wirst vor Einsamkeit wahnsinnig werden und ihm allmählich glauben, ihm und all den anderen Idioten. Und am Ende wird dir der Gedanke kommen, dass du es nicht wert bist zu leben.
    »Und das ertrage ich nicht«, fügte er hinzu, mit einer Stimme, über die sie nun erst richtig erschrak. Sie setzte sich auf den Badewannenrand und legte ihre Hand in seinen Nacken.
     
    Im Bett, unter dem Laken, führte sie ihn sanft und vorsichtig ein. Draußen war die blaue Stunde eingetreten, die Stunde, in der alles in gleichmäßigem kaltem Licht erscheint. Sein Kiefer schwoll von Minute zu Minute und nahm unterschiedliche Farben an. »Du siehst miserabel aus«, sagte sie. Er lächelte schief, mit schmerzverzerrtem Gesicht, wodurch es noch verrückter aussah. »Mach das nicht«, sagte sie, »sonst muss ich auch noch lachen, und das geht nicht.« Und dann brodelte das Lachen in ihr herauf. Kurz darauf versuchten sie es noch einmal, sie hieß ihn in ihrem Inneren willkommen, umschloss ihn, und nichts konnte ihr Zusammensein stören.
    Sie waren die letzten Menschen

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