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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Stücke als Aufschnitt abschneiden konnten. Dazu hatte sie
Cranberry Sauce
gemacht und in ein Marmeladenglas gefüllt, Eier, Gemüse und Kartoffeln für den Salat gekocht und Mayonnaise selbst geschlagen – was erst beim zweiten Versuch gelang, da sie das Öl zu ungeduldig zugegeben hatte. Sich abgerackert hatte sie sich und schwere Beine bekommen. In Esthers Tasche steckten nur Süßigkeiten, Zigaretten und eine Flasche Bourbon. Esther nahm die Zigarette mit ihren gespreizten Kreidefingern an, inhalierte tief und blies langsam den Rauch aus. »Wir wohnen rein zufällig in der gleichen Stadt«, sagte sie, »darf ich dann nicht wissen, was aus ihm geworden ist?«
    »Warum? Warum willst du das wissen?«
    In aller Ruhe legte Esther das Heft neben sich und streckte ihren langen Körper im Gras aus. Sie stützte sich auf einen Ellenbogen und schaute über den See, auf dem in der Ferne, auf der glitzernden Oberfläche, zwei dunkle Pünktchen aufeinander zuschwammen und zu
einem
Pünktchen wurden. »Hast du dich nie gefragt«, fragte sie dann, »wie es mir ergangen ist?« Marjorie dachte an die reglose Gestalt, die sie damals auf dem Sofa im Atelier zurückließen. »Doch«, antwortete sie, und das stimmte auch.
    »Mum, look!« Beide Frauen drehten sich zu dem Baum um. Bobby war zwischen den dicht bewachsenen Ästen fast nicht mehr zu sehen. Sie streckte den Daumen hoch, um ihm zu zeigen, wie großartig er war. »Komm jetzt bitte wieder herunter«, rief sie, »das scheint mir doch ein bisschen hoch.« Das war genau, was er erreichen wollte, dass seine Mutter es unheimlich fand, und deshalb kletterte er noch etwas höher. Schon vor langer Zeit hatte sie lernen müssen, auf seine gelenkigen, starken Muskeln zu vertrauen, aber sie spielte ihre Rolle mit Begeisterung, weil sie ihm so gern einen Gefallen tat. Doch jetzt war es, als würde zwischen den Blättern verborgen etwas Düsteres auf ihn lauern, etwas, das seine Gewandtheit antasten konnte, und sie rief mit unerwartet greller Stimme nochmals, dass er herunterkommen sollte. Esther ließ die Kippe in hohem Bogen ins Wasser schnippen. »Du musst dir um nichts Sorgen machen.«
     
    Ich muss mir um nichts Sorgen machen. Sie lagen ausgestreckt nebeneinander im Gras, drei junge Frauen und ein junger Mann, und ruhten träge nach dem Picknick, ein schläfriger Sommernachmittag am See, nichts weiter als eine sorglose Szene, und hinter ihnen spielte das Kind mit seinem Ball auf dem Rasen. Marjorie wollte nichts lieber als glauben, was Esther sagte. Frank hatte ein paar Flaschen Rotwein mitgenommen, seinen eigenen Wein, den er stolz präsentierte und immer wieder nachschenkte. Der Wein wärmte und entspannte sie, und allmählich versöhnte Marjorie sich mit der Situation, nicht zuletzt deshalb, weil alle ihr Essen in den höchsten Tönen gelobt hatten. Vielleicht war es wirklich nichts anderes. Hab ein wenig Vertrauen. Wahrscheinlich hatte Hans doch recht, und sie machte sich das Leben viel zu schwer. Sie wollte nichts lieber, als sich der Sorglosigkeit hinzugeben. Marjorie lag auf dem Bauch, den Kopf auf den verschränkten Armen, und ließ sich von der Wärme in den Schlaf säuseln. Versonnen lauschte sie dem leisen Plätschern des Wassers und Franks ruhiger Stimme, die von seinem Wein erzählte. »Traubenblut«, fragte Esther, »wie kommst du denn auf den Namen?« Esther war die Einzige, die kaum etwas gegessen hatte, was Marjorie an den Wohnwagen erinnert hatte, nur von dem Wein hatte sie ordentlich getrunken und dabei ohne Unterbrechung weiter ihre Skizzen gemacht, immer wieder von einer anderen Position aus. Mit einer Hand hielt sie die Seiten, mit der anderen die Kreide, die über das Papier jagte.
    »Er kommt aus einem Bibeltext«, erklärte Frank und kitzelte mit einem Grashalm über Adas Fußsohle. Ada lag auf der Seite, ihr hellblaues Jäckchen unter dem Kopf gefaltet, und schlief. Oder tat zumindest so als ob, durch die Sonnenbrille hindurch war es nicht wirklich auszumachen. Die Fußsohle zog sich zurück. Der Grashalm ließ sich nicht entmutigen. Marjorie beobachtete die Szene durch ihre Wimpern hindurch und musste an den Bleistift denken, mit dem Hans im Krankenhaus vor ihren Augen hin und hergewirbelt hatte. Dann folgte eine Erkenntnis, die ihre Schläfrigkeit vertrieb: Er ist dabei, sie zu verführen. Sie stützte sich auf die Ellbogen, damit sie ihn besser im Blick hatte, in der Hoffnung zu ergründen, was ihn dazu trieb, so etwas Grässliches zu tun: eine

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