Brautflug
verheiratete, gläubige Frau, Mutter von drei Kindern, zu verführen. Sie sah scharf hin. Frank schenkte ihr keinerlei Beachtung, seine ganze Aufmerksamkeit war auf Ada gerichtet. Marjorie erkannte ein düsteres Verlangen in seinen Augen, das sie verwirrte. Das war nicht der Blick, mit dem er Edna oder Kathleen nervös machte. Und dies war erst recht nicht der Blick, mit dem er sie selbst jemals ansah. Frank drehte sich zu ihr um. Sie sagte etwas und kicherte albern, versuchte, eine Vertrautheit herzustellen, die zwischen ihnen gar nicht bestand. »Aus einem Bibeltext? Seit wann liest
du
denn die Bibel?« Er lachte geheimnisvoll. »Jemand hat es vorgeschlagen, und mir hat das Wort gefallen.« Abdrücke von Grashalmen auf seinen Oberschenkeln, kurz unter dem Rand seiner Shorts. »Das war dann wohl eine deiner Freundinnen«, sagte Marjorie schroff, um Ada zu warnen, und auch weil sie ein unbestimmtes Gefühl von Ärger verspürte, dem sie Luft machen wollte. In ihrem Leben war die Liebe rein. In seinem war sie sinnlich. Zwei vollkommen unterschiedliche Auffassungen, zwei gegensätzliche Weltbilder. Und dann war da auch noch die moralische Seite an der Sache.
»Eine bibelfeste Freundin«, sagte Esther, ohne von ihrem Papier aufzusehen.
Frank zog es vor, ihre Bemerkungen zu ignorieren. Der Grashalm kitzelte weiter die Fußsohlen. »Findet ihr nicht auch«, fragte er, »ganz objektiv betrachtet und ganz und gar wissenschaftlich gesehen, dass Ada van Holland die schönste Frau der Welt ist?«
»Ich habe gerade überlegt, wie ich sie am besten zeichne«, sagte Esther.
Ada stieß einen kleinen Schrei aus und fuhr hoch, ihre Sonnenbrille fiel auf die Decke. Ihr Kleid hatte sich schräg um ihre Hüften gewickelt. Sie zog es zurecht, sodass die Knie wieder bedeckt waren, und setzte schnell die Brille wieder auf. Doch Marjorie sah, dass sie geschmeichelt war. »Ada ist bildschön«, pflichtete sie den anderen bei, »das kann niemand bestreiten. Ich vermute, dass ihr Mann das genauso sieht.«
Alle drei sahen sie an.
Das Blut schoss Marjorie in die Wangen. Sie widerstand den Blicken nicht, sondern pflückte im Gras herum und wünschte sich, vom Erdboden verschluckt zu werden. Ja, mein Lieber, nun weißt du also, was ich davon halte. Lass Ada in Ruhe. Mit einem Mal hing eine feindselige Stimmung über der Decke, als würde die Andersdenkende vor die Stadttore verbannt, um dort für immer zu bleiben.
Frank stand ohne ein Wort zu sagen auf und lief zur Rasenfläche hinüber. Er machte Bobby ein Zeichen, dass er den Ball werfen sollte. Marjorie betrachtete seine Shorts und die blauen Flecken auf seinem Körper. Bobby ließ einen Indianerschrei los.
»Oh dear«, sagte Esther und teilte Zigaretten aus. Marjorie nahm sich ebenfalls eine. Die drei rauchten still vor sich hin. Unwillkürlich drehten sich ihre Körper zu dem Mann und dem kleinen Jungen auf dem Rasen, die sich gegenseitig festhielten, aneinander zerrten und sich lachend auf den Ball warfen. An der Art, wie Ada rauchte, konnte man sehen, dass sie das noch nicht so oft getan hatte und dass sie keinerlei Begabung dafür hatte. Marjorie entdeckte violette Flecken auf dem gestreiften Kleid und bekam Mitleid. »Wie lange kümmerst du dich schon um deine Tante?« Ada räusperte sich und murmelte: »Eine Woche.« Sie schien sich wirklich wegen jeder Kleinigkeit zu erschrecken.
»Meine Güte, wie musst du die Kleinen vermissen! Das könnte ich nicht. Wann fährst du wieder nach Hause?« Ein undeutliches Schulterzucken. Sonst nichts. Esther pfiff und skizzierte. Auch dieses Gespräch kam nicht in Schwung. Marjorie tat ihr Bestes, um eine entspannte Haltung einzunehmen, und widmete ihre Aufmerksamkeit dem Spiel. Bobby rannte über das Feld. Frank warf den Ball in seine Richtung, aber das Kind fing nicht, Frank wartete ab, breitbeinig wie ein Junge, fuhr sich dabei mit der Hand durchs Haar und sah kurz zu den Frauen auf der Decke herüber. Ada streckte sofort ihren Körper. Marjorie hatte die Verstörung hinter den dunklen Brillengläsern gesehen und konnte nicht aufhören, ihre Warnungen auszusprechen. Leichthin sagte sie: »So ein netter Mann, eigentlich müsste er doch heiraten und Kinder kriegen, meint ihr nicht? Er ist ein Herzensbrecher. Wie viele wir nicht schon haben kommen und gehen sehen.«
»Er ist eine einsame Seele«, kommentierte Esther, ohne aufzusehen.
Es klang spöttisch. Typisch Esther, so etwas zu sagen, und überhaupt hatte
sie
von dieser Einsamkeit noch
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