Brautflug
ein dominantes Geräusch, das jeden anderen wohl in Verlegenheit gebracht hätte, doch nicht Esther, die sich auf die Rückbank fallen ließ, sich einen weißen Bast-Sonnenhut auf die Locken setzte und anfing zu rauchen. Dabei zeigte sie ein Gesicht, von dem nicht mehr abzulesen war, als dass sie sich heute sorgfältiger als sonst geschminkt hatte.
Als sie auf der Schnellstraße waren, entging Marjories Aufmerksamkeit nicht, dass unter dem breiten Hutrand Esthers Augen an den Knien des Jungen klebten. Er saß zwischen den beiden Frauen eingeklemmt auf der Rückbank und las in einem Comic
.
Ein bisschen schüchtern, schräg an seine Mutter gelehnt, die ihren Arm steif um ihn gelegt hatte. Marjorie hielt ihn so nah wie möglich an sich gedrückt, bereit, ihn vor allen Gefahren zu verteidigen, wenn sie auch nichts anderes tun konnte, als sich mit ihm zusammen in einem Jeep fortführen zu lassen, der gnadenlos weiterbrauste. Und während sie sich das Hirn zermarterte und immer wieder nach neuen Erklärungen und Möglichkeiten suchte, sah sie äußerlich unbewegt auf die vorüberziehende Landschaft und kniff die Augen gegen den Wind und die Sonne zusammen. In der Eile hatte Marjorie ihre Sonnenbrille vergessen. Sie wünschte, dass sie mit den Füßen den Erdboden erreichen könnte, sodass sie die stetig weiterrollenden Räder stoppen könnte. Wie sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, sich von dem Gefühl zu befreien, dass es sich hier um eine Entführung handelte. Eine Entführung, in die sie zufällig, und sehr zum Unwillen der anderen, verstrickt worden war. Das Kind hätte allein sein sollen. Sie drückte ihren Sohn noch fester an sich. »Mum«, murrte er, ohne von seinem Comic aufzusehen, und ruckte sich ein bisschen von ihr los.
Es wurde nicht viel gesprochen. Der Jeep holperte über den State Highway One, und das Dröhnen des Motors, das Singen der Reifen auf der Straße, das Flattern des Verdecks und das Pfeifen des Windes machten jedes Gespräch unmöglich. Auf beiden Seiten des Weges erhob sich eine sanft glühende, archaische Landschaft, mit Schafherden unter Bäumen, Holzkirchen und der britischen Flagge, die hier und da im Wind wehte. Marjorie musste den Drang unterdrücken, nach Hilfe zu rufen. Auf der anderen Seite der Sitzbank bückte Esther sich und kramte lange in ihrer Tasche zwischen den Füßen, bis sie einen
Peanut Slab
hervorzauberte. »Bobby«, schrie sie gegen den Wind an, »magst du Schokolade? Sonst habe ich auch ein
Buzz Bar
für dich, wenn du willst.« Er entschied sich für den
Peanut Slab.
Frank hielt Wort. Sie machten eine Pause, streckten ihre Beine, aßen ein Sandwich und tauschten die Plätze. Bobby schien zu neuem Leben erweckt. So, sagte Frank, jetzt können wir endlich mal ein Männergespräch führen. Hinten im Wagen war es nun unangenehm eng, sechs nackte Knie nebeneinander aufgereiht, drei Röcke, die gegen den Wind anflatterten. Hüften, die nicht vertraut miteinander waren und sich nicht ausweichen konnten. Marjorie hatte Ada zwischen sich und Esther geschoben. Bei dem Versuch, Kontakt aufzunehmen – auf der Suche nach einer Mitstreiterin –, erkundigte Marjorie sich nach Adas Kindern. Sie strengte sich an, mit ihrer Stimme das Fahrgeräusch zu übertönen, und gestikulierte wild. Hast du ein Foto dabei? Ada fischte ein zerknicktes Foto aus ihrer Tasche, ein unscharfes Strandbild, das ganz offensichtlich von einem Amateurfotograf aufgenommen war. Marjorie sah ein Mädchen und zwei Jungen (ein kurzer Stich der Eifersucht, warum alle anderen und ich nicht?): flachsblonde holländische Köpfchen. Sie überschlug sich mit ihren Komplimenten. Oh, was für eine Rasselbande, rief sie, mit denen wirst du alle Hände voll zu tun haben. Sie erkundigte sich nach ihrem jeweiligen Charakter, ihren Besonderheiten und den Vorlieben in der Schule, doch Ada gab nur knappe, unverständliche Antworten, und das Gespräch kam nicht so recht in Schwung. Das beunruhigte Marjorie. Weil sie sicher war, dass Esther ihnen zuhörte, warf sie selbst eine Muttergeschichte in den Raum. »Ach, weißt du«, schloss sie atemlos, während sie sich zu den zwei Frauen beugte und ihre Stimme senkte, sodass diese in dem Gedröhn nicht bis zur Vorderbank durchdringen würde, »es ist nur gut, dass ich mitfahre, denn so lässig er tagsüber tut, umso kleiner wird er abends, wenn er allein im Bett liegt, wenn seine Mum nicht da ist, die ihm gute Nacht sagt.« Sie wartete auf eine Reaktion, aber
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