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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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nie etwas gemerkt. Sie glaubte nicht an einsame Seelen. Und doch beunruhigte sie diese Bemerkung. Wieder einmal fragte sie sich, wie gut Esther Frank eigentlich kannte. Ob sie auf dem Weingut gewesen war, nach der Begegnung von vor einem Monat? Und worüber sie wohl gesprochen hatten?
    Du musst dir um nichts Sorgen machen. Könnte sie das nur glauben.
    Ada schlang ihre Arme um die angezogenen Beine, stützte ihr Kinn auf die Knie und seufzte. Niemand sagte mehr etwas. Man hörte nur die Geräusche, Wind und Wasser rauschten leise, und Esthers Armreife bewegten sich beim Skizzieren. Über allem erklang das Kriegsgeheul von dem Mann und dem Jungen.
     
    Frank spielte wie ein Hund, der Flöhe von sich abschüttelt, und machte Bobby damit vollkommen wild. Es wurde eine Show, ein Spiel, das trotz fehlendem Team noch immer wie echtes Rugby wirkte, wie ein Spiel, das in erster Linie aber den Regeln eines anderen, jahrhundertealten Rituals folgte: Mädchen beeindrucken. Aus unerwarteten Ecken wurden harte Bälle geworfen, und der Fänger machte blitzschnelle Hechtsprünge und landete so beeindruckend wie möglich wieder auf dem Rasen. Und sah sich natürlich nicht um, wenn von der Decke her Schreie erklangen.
    Wie immer war Marjorie fasziniert, sie konnte nicht anders, als sich über ihr Kind zu freuen, das ganz offensichtlich in dem Spiel aufging. Sie freute sich über sein ausgelassenes Kinderlachen – niemand konnte so schön lachen wie er – und über die Würfe, die er ausführte, um den erwachsenen Mann zu übertrumpfen. Sie ermutigte ihn im Stillen, los jetzt, geh drauflos. Ein Junge, der seine Kraft an einem erwachsenen Mann schärft und dabei unmerklich wächst, ohne es zu merken. Sie sah, dass Frank sich zurückhielt und dem Kind unbemerkt Chancen einräumte, das musste sie ihm zugutehalten. Sie hörte das dumpfe Dröhnen, das erklang, wenn sie hinfielen, und das Keuchen und lachende Schnauben, wenn sie sich wieder aufrappelten, vom anderen stets in Schach gehalten. Sie wusste, dass sie hier einer Vorstellung zusah, dem atemberaubenden Ballett eines großen und eines kleinen Mannes in Shorts, die sich kriegslustig angingen wie Hirschböcke zur Paarungszeit, versuchten, sich zwischen die Beine zu grätschen, bis einer den Ball eroberte und mit einem albernen Triumphschrei davontobte. Dann rannten sie schnell nebeneinanderher, drehten sich abrupt in einer Überraschungsattacke um, forderten sich immer wieder gegenseitig heraus und täuschten den anderen mit geschickten Ablenkungsmanövern. Und das alles aus purem Spaß an der Bewegung.
    Und sie wusste, dass Bobby voller Stolz Hans seine aufgeschürften Stellen zeigen und in gleichgültigem Ton erklären würde, dass sie ein bisschen herumgetollt hätten, und in diesem Moment wurde ihr wieder einmal bewusst, dass sie niemals in ihrem Leben jemanden mehr lieben würde als diesen Jungen, ihr Kind. Ein Schmerz durchzog ihren Körper, als würde schwere, sirupartige Flüssigkeit in ihre Adern gespritzt. Ihre Liebe würde den Lauf der Dinge nicht aufhalten können, das Kind würde heranwachsen und seinen eigenen Weg gehen, aber nun gut, so war das Leben. Die Frage war nur, ob sie noch Anspruch hatte auf dieses Gefühl. Auf der anderen Seite der Decke saß nämlich noch jemand, der das Schauspiel beobachtete, und vielleicht hatte diejenige sogar mehr Recht auf diese Sentimentalität.
    Ich muss mir über nichts Sorgen machen. Aber warum guckt sie dann so?
    Sie atmete tief ein und aus, mit offenem Mund, um die Tränen zurückzuhalten, und klatschte lachend in die Hände, als Bobby mit einem clownesken Sprung den Ball eroberte. »You win«, rief Frank und hob die Arme zum Zeichen, dass die Pause eingeläutet war. Sie standen nebeneinander und rangen nach Atem, mit fröhlichen, erhitzten Gesichtern, die Augen im grellen Sonnenlicht zusammengekniffen. Das Kind ließ den Ball triumphierend auf seinen Händen tanzen.
    »Irgendwie haben die beiden eine Ähnlichkeit«, sagte Ada.
    Es war nicht mehr als eine Randbemerkung, einfach so dahingesagt. Keiner sah auf oder blickte sich um. Esther beugte sich über ihren Zeichenblock, die Kreide fraß sich in das Papier. Marjorie klatschte noch zweimal in die Hände, stützte sich dann im Gras ab und fing an zu rechnen.
     
    Allmählich wurde es immer unverständlicher, dass sie es die ganze Zeit über nicht gemerkt hatte. Wie lange sahen sie sich nun schon regelmäßig? Sie hatte diese Besuche nicht wirklich forciert. Der schwere,

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