Brautflug
Ada lehnte sich zurück und schloss die Augen. Ihre Hände lagen in ihrem Schoß, und sie krallte sich an dem Foto fest, wovon es nicht weniger zerknittert wurde. Marjorie hatte den Eindruck, dass sie sich nicht gut fühlte, vielleicht war sie reisekrank, ja, das konnte der Grund sein. Dann gab sie es auf. Was Esther dachte, blieb ein Geheimnis. Sie rauchte nur und gab nichts von sich preis, doch unter ihrem Hut waren die Augen noch immer auf die Vorderbank gerichtet, und angespannt verfolgte sie jede einzelne Bewegung des Jungen, als könnte sie daran etwas entdecken. Abrupt wandte Marjorie sich von den beiden ab und starrte auf die Landschaft, die feindselig zurücksah. Tief unten neben der Straße plätscherte ein Fluss in einer Gebirgsschlucht, direkt daneben stieg der Fels steil an. »Seht ihr das?«, rief Frank nach hinten. Marjorie konnte selbst sehen, wie spektakulär die Aussicht war, doch sie kämpfte mit dem Gedanken, dass die Stille auf der Rückbank, die Tatsache, dass das Gespräch nicht in Schwung kam, mit der Verschwörung zu tun hatte.
Stunden später fuhr der Jeep durch ein ausgedehntes Gebiet, das an eine Wüste erinnerte und wenig abwechslungsreich war. In der Ferne ragte der Mount Ruapehu auf, der einzige hohe Berg der Nordinsel. Auf der Vorderbank wurde alles, was mit Rugby zu tun hatte, ausführlich besprochen. Dennoch fing Bobby allmählich an, sich zu langweilen, Marjorie erkannte die Anzeichen. Es ist nicht leicht, ein Kind sechs Stunden lang im Auto bei Laune zu halten. »Darling«, rief sie gegen den Wind und das Motorengeräusch an und stimmte fast schreiend ein Lied von Harry Belafonte an. Bobby drehte sich zu ihr um und sang begeistert und falsch mit.
»Oh, island in the sun …«
Das taten sie oft, zusammen singen, er war noch Kind genug, um es lustig zu finden. Sie schmetterten ihr ganzes Repertoire im Chor. Hinter dem Steuer brummte Frank mit,
»… mama look a boo boo, they shout, their mother tells them shut up your mouth, that is your daddy, oh no, my daddy can’t be ugly so …«
Das alles war wie eine Demonstration, als würde sie nach Anerkennung verlangen. Doch neben ihr lag Ada noch immer mit geschlossenen Augen und zurückgelegtem Kopf da, ihr Kopf zitterte von den Motorbewegungen. Und Marjorie dachte sich, dass sie für Singen wohl nichts übrig hatte, was wiederum bedeuten konnte, dass sie all die Lieder kannte, sie jedoch aus tiefstem Herzen verachtete.
»But I’m sad to say I’m on my way, won’t be back for many a day …«
Neben Ada wurde pausenlos an den Armreifen gedreht. Sie klimperten gegen die Lieder an.
Nach der Wüste tauchten waldige Hügel auf, durch die die Straße sich hindurchschlängelte, mit Nadelbäumen und kleinen Flüsschen, die an die Schweiz erinnerten. Danach wurde die Landschaft wieder weitläufiger. Das Vibrieren und Holpern des Jeeps wurde nun fast unerträglich. Doch dann auf einmal sah man einen riesengroßen See mit einem Vulkangebirge im Hintergrund, Lake Taupo. Der Anblick traf sie wie der erste Takt einer Symphonie, und sie setzten sich auf und sahen auf das Wasser, das einladend glitzerte, und auf die weißen Segel der Boote in der Ferne. Es war Zeit für ein Picknick. Mit steifen Gliedern krochen sie aus dem Jeep, froh über die plötzliche Stille und den körperlichen Abstand. Marjorie zog ihre Schuhe aus und spürte das Gras beruhigend sanft unter ihren nackten Füßen. Sie gab Bobby seine Badehose. Frank und er zogen sich hinter einem Gebüsch um und rannten ins Wasser. Die Frauen brauchten etwas länger dafür, hielten einander die Handtücher beim Umkleiden und wandten sich diskret voneinander ab. Man hätte das leise Kichern missdeuten können, hätte denken können, dass sie Spaß hatten und sich zusammen wohlfühlten. Marjorie entdeckte weitere Auffälligkeiten. Esther hatte einen Badeanzug für Ada dabei, ein altes Exemplar aus ihrer Zeit in der Textilfabrik. Das bestärkte ihre Vermutungen: Man hatte telefoniert, sie waren in Kontakt gewesen. Gott weiß, warum. Sie beobachtete genau, wie Esther in ihrem selbst genähten Badeanzug zum Wasser stolzierte und zu dem Mann und dem Jungen hinüberwinkte, und sie nahm sich vor, sie nicht mit ihnen allein zu lassen, sondern immer in nächster Nähe zu bleiben. Wenn nötig, würde sie ihr bis zum anderen Ufer des Sees hinterherschwimmen, doch zu ihrer Erleichterung streckte Esther nur einen Zeh ins Wasser und beschloss dann, dass es viel zu kalt war. Sie widmete sich
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