Brautflug
schmalen Holzstege, die über den gesamten See ausgelegt waren. Die hohen Absätze folgten ihm, sie klackerten auf dem Holz und verschwanden im Nebel. Marjorie hatte jegliches Vertrauen verloren und lief so schnell wie möglich hinter den beiden her. »Bobby darling, nicht so schnell, das Wasser ist heiß!« Doch schon bald konnte sie auf den Holzstegen die Hand vor Augen nicht mehr sehen, und sie musste ihr Tempo etwas drosseln. Weit hinter sich hörte sie die gedämpften Stimmen von Frank und Ada. Man konnte mit Ada also tatsächlich ein Gespräch führen.
Beim größten Geysir von allen, der zu ihrer Erleichterung von einem Zaun umgeben war, rannte das Kind übermütig die leeren Holztribünen auf und ab. Dampf spritzte unter ohrenbetäubendem Dröhnen meterhoch in die Luft. »Mum, look … a rainbow!« Das Licht der letzten Sonnenstrahlen wurde im Nebel gebrochen. Marjorie ergriff seine Hand, und zusammen kletterten sie auf die höchste Bank, um dieses Phänomen in all seiner Schönheit zu betrachten. Sie wollte ihm nicht den Spaß verderben.
Die Krater hatten Namen wie Devil’s Home und Devil’s Bath, und die Wände waren von den Schwefelkristallen giftig gelb und grün. Träge Wolken stiegen aus der Tiefe empor. Thermalgas bestand aus Dampf, Kohlenmonoxid und Schwefel, las sie in dem Folder. Vor allem Schwefel war in hoher Konzentration sehr giftig. Ein kriechendes Gas, das in Spalten und Höhlen auf seine Opfer wartete. In den Tiefen des Kraters wäre man innerhalb von drei Minuten tot. Oberirdisch wurde das Gebiet als sicher bezeichnet. Es war abgegrenzt, und überall standen Warnschilder mit Totenköpfen herum. Sie lehnten sich über die hölzerne Balustrade und spähten durch die Nebelwolken hindurch auf die Spalten und Risse in dem weiß verkrusteten Boden. Bobby kletterte auf die unterste Sprosse, doch sie zog ihn sofort energisch wieder herunter und wies ihn scharf zurecht. Verdutzt rückte er ein Stück von ihr ab.
Nach einer Weile beugte Esther sich über ihn und zeigte mit ihrem langen Arm auf die Kristalle in der Tiefe. »Weißt du, was das ist?« Die heisere Stimme war tief und geheimnisvoll. Da gleitet sie, die Schlange, dachte Marjorie und sah den Bernstein in Esthers Augen aufflackern. Das Kind schüttelte kichernd den Kopf.
»Das sind Diamanten. Hundert Prozent reine Diamanten …«, und die Stimme wurde noch tiefer, als sie Geschichten über die magischen Kräfte erzählte, die man diesem Diamanten nachsagte. Darüber, dass sie einem angeblich das ewige Leben schenken konnten. Sie erzählte von Königen und Scheichs, die diesen Schatz begehrten und ihr ganzes Reich dafür geben würden. Obwohl Marjorie sich sicher war, dass Bobby die Geschichten nicht glaubte, da sie zu kindisch für ihn waren, war er doch ganz offensichtlich gefesselt. »Derjenige, der diese Diamanten findet, wird Herrscher über alles. Doch … es ist lebensgefährlich«, die Stimme senkte sich und wurde noch geheimnisvoller, »denn angeblich haust der Teufel selbst in diesen Höhlen, um seine Diamanten zu bewachen. Kein Sterblicher hat es jemals gewagt, in die Tiefen vorzudringen.«
»Rubbish«, sagte Marjorie laut, um den Zauber zu durchbrechen. Frank grinste.
Und doch sahen alle fünf weiter auf den Dampf, beeindruckt von der magischen Landschaft, dem rauen, verkrusteten Terrain mit seinen schwarzen Hainen und tiefen Teufelsschluchten, in denen Nebelwolken sich träge und vornehm tummelten, wie hochmütige Geister in einem nächtlichen Wald. Als wolle sie die Gruppe einen Moment lang zur Seite nehmen, legte sich jetzt eine Wolke über sie und nahm ihnen für einen Moment lang die Sicht. Marjorie sperrte die Augen weit auf, doch sie sah ins Nichts. Ein kalter, feuchter Schleier strich ihr übers Gesicht. Irgendwo schaltete jemand gezielt die Sonne ab. Sie bekam eine Gänsehaut und zitterte. Später würde sie sich diesen Moment ins Gedächtnis rufen, weil sie sich sicher war, dass es genau der Moment gewesen war, in dem das übermütige Kind sich entschloss, unter der Balustrade hindurchzukriechen und etwas zu wagen, was noch niemand zuvor gewagt hatte.
Langsam zogen die Nebelwolken in Schwaden auseinander, und sie konnten sich wieder gegenseitig erkennen. Doch die Sonne kam nicht wieder, denn die Dämmerung setzte ein. Hinter der Balustrade glitt die nächste Nebelwolke empor. »Wo ist Bobby?«, fragte Marjorie und versuchte, ihre Stimme so ruhig wie möglich klingen zu lassen. Solange du ruhig bleibst,
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