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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Ada, die geschwollene, verweinte Augen hatte, half ihr, die Decke vorsichtig um den Jungen zu legen. Esther existierte nicht. Dann startete Frank den Motor und schaltete die Scheinwerfer ein. Der Jeep raste über den Asphalt. Marjorie hielt sich mit einer Hand an der Windschutzscheibe fest und beugte sich über das Kind. Liebling, flüsterte sie, Liebling, erinnerst du dich noch, als der Lone Ranger auf das Dach geklettert ist, während all die Banditen auf dem Hof nach ihm suchten? Mit dem Mund dicht an seinem Ohr blies sie sanft Leben in seine Ohrmuschel.
     
    Das Krankenhaus in Rotorua lag auf dem Hügel, mit Aussicht über einen großen See. Frank hielt direkt vor dem Eingang, der aus zwei gläsernen Schwingtüren unter einer Überdachung auf Säulen bestand. Er rannte um den Jeep herum und hob Bobby von ihrem Schoß. Während der Fahrt hatte das Kind die Mutter auf einmal verbessert, als sie den Namen eines Rugbyspielers verwechselte, mit schwerer Zunge und ohne die Augen zu öffnen. Doch all die albernen Fehler, die sie danach absichtlich machte, zauberten keine weitere Reaktion hervor. Während Frank mit dem schweren Kinderkörper auf dem Arm auf die Glastüren zulief, rüttelte sie an der Wagentür, wusste nicht, wie sie aufging, die einfachsten Dinge verstand sie nicht mehr. Dann schlug die Tür zum Krankenhaus zu, und hinter der Glastür schwebten Bobbys Turnschuhe über einen spärlich beleuchteten Gang davon. Marjorie tobte und rüttelte an der Autotür, doch sie ging nicht auf. Fluchend schlug sie ihre Beine darüber hinweg, riss sich dabei die Waden an der scharfen Türkante auf und landete mit den Knien auf dem steinigen Fußweg. Ein scharfer Schmerz durchzuckte sie. Esther kam von hinten um den Jeep herum, um ihr zu Hilfe zu eilen. Schnell richtete sie sich auf und rannte auf das Licht unter der Überdachung zu, wo das Kind vor ein paar Minuten eingesogen worden war. Ihre Hand lag auf dem großen, viereckigen Türknopf, als sie hinter sich im Spiegelbild der Tür einen grinsenden Totenkopf sah, mit Löchern anstelle von Augen. Sie wusste, dass es Esthers blasses Gesicht war, das von den Lampen über ihr beschienen wurde. Doch was sie sah, war das Gesicht des Todes. Blitzschnell wandte Marjorie sich um und schrie auf, bereit dazu, mit einem gezackten Brotmesser in den mageren Bauch zu stechen. Esther sprang zurück und hob ihre Arme in einer abwehrenden Geste. Zu Tode erschrocken standen sie sich gegenüber. Esther wirkte, als wäre sie nicht mehr sie selbst, als wäre unter ihrer Haut alles lahmgelegt worden.
    »Marjorie, ich …«
    »Sollte er sterben?! War das der Plan?«
    Marjorie drehte sich um, stieß die schwere Schwingtür auf und ließ sie hinter sich zuschlagen.
     
    Mit einer Pinzette zogen die Ärzte Bobby das Hemd von der Haut. Er schrie wie am Spieß, was unerträglich war, aber dennoch ein kräftiges und lebendiges Geräusch. Sie strich ihm über die heiße Stirn und lenkte ihn mit Witzen ab. Eine Krankenschwester wischte ihm das Blut vom Gesicht. Es stammte nur aus einer gehörigen Schürfwunde auf seiner Wange, mehr war es nicht. Die Ärzte stellten dem Jungen Fragen und untersuchten ihn, legten mit Salbe getränkte Gaze auf seine Brandwunden und wickelten einen Verband herum. Das Kind heulte und klapperte mit den Zähnen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie ihm endlich Morphium gaben. Erst als Bobby mit unnatürlich roten Wangen im Tiefschlaf im Krankenhaussaal lag, ein Gestell über seinem Körper, damit nichts auf die Brandwunden drücken konnte, fragte sie, wo die anderen waren. Die Krankenschwester erklärte ihr den Weg zum Wartezimmer.
    Das Erste, was ihr auffiel, als sie die Tür aufmachte, war, dass Frank mit seiner Hand über Esthers Rücken strich. Sie saßen eng nebeneinander auf einer Bank, ganz hinten im Wartezimmer. Es war ein ungemütlicher Raum mit fahlem, gelblichem Licht, sodass es einem vorkam, als wäre der Schwefel bis hierher vorgedrungen. Esther zog an einer Zigarette – Marjorie sah das kleine rote Pünktchen – und sagte etwas zu Frank, das sie nicht verstehen konnte, das aber weinerlich und verstört klang. Dann klappte hinter ihr die Tür zu, und die beiden sprangen auf. Ertappt, dachte sie. Vage nahm sie wahr, dass jemand fehlte. Sie blieb in der Nähe der Tür stehen. Frank kam auf sie zu. Seine schweren Schuhe machten ein quietschendes Geräusch auf dem gebohnerten Fußboden, sein Gesicht wirkte in dem fahlen Licht aschgrau, und sie spürte, dass

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