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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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wollen? Aber warum dann nicht mich?« Bobbys Hand war warm und klebrig, voll Krümel. Sie rückte näher an ihn heran, zog ihn vorsichtig zu sich und umarmte ihn. Das Zimmer löste sich in Nichts auf. Sie legte ihre klatschnasse Wange an sein Ohr, roch den warmen Schlafanzuggeruch an seinem Hals. Alle umgebracht. In ihrer Umarmung wurde sein Körper wärmer. Sie merkte, dass er nicht wusste, was dies alles bedeutete, vielleicht tat sie ihm weh. So vorsichtig sie auch war, aber sie musste es unbedingt wissen. Deshalb hielt sie ihn fest und wiegte ihn. Alle umgebracht. Sie betastete seine Wirbel und fühlte seine Schulterblätter, drückte ihr Gesicht in sein kurz geschnittenes Haar, weil sie nach etwas suchte, einem Zeichen, das alles erklären würde, einem Wort, einem Schlüssel oder einfach einem beruhigenden Geruch, und dabei ertönte aus ihrem Mund ein entfernter, dünner Klagelaut, als würde tief in ihr verborgen jemand auf seinem Krankenbett wimmern. Sie spürte, wie sich die Muskeln des Jungen verkrampften, hörte sein furchtsames Atmen und dachte: Hör auf damit, hör endlich auf, doch sie konnte nicht aufhören, in der Wärme dieses Kinderkörpers suchte sie nach etwas, das sie von der Frage erlösen könnte, die seit Jahr und Tag an ihr zehrte.
    Warum mich nicht.
    Als die Tür aufging, kehrte die Wirklichkeit unmittelbar zurück, und sie wurde sich des Anblicks bewusst, den das Kind und sie boten, des Missverständnisses und der sinnlosen Erklärung, die nicht verstanden werden würde.
    »Mum«, sagte Bobby unsicher.
    Esther ließ ihn los und wandte sich ab. »Oh dear«, murmelte sie und wischte mit den Händen über ihre Wangen, klebrige Hände, die nach dem Öl der Latkes rochen, »oh dear.«
    Sonderbarerweise fragte Marjorie nicht nach einer Erklärung. Vollkommen ruhig schritt sie zum Kerzenständer und blies nacheinander die Kerzen aus, nicht aufbrausend, mit herumspritzendem Kerzenwachs, wie man es von ihr hätte erwarten können, sondern beherrscht und präzise.
    »Den hab ich geschenkt bekommen«, sagte Bobby.
    »Wie schön, Liebling.«
    Esther richtete sich auf, wollte etwas sagen, doch sie tat es nicht. Schweigend und leer vor Müdigkeit griff sie nach ihrer Tasche. Marjorie ignorierte sie, räumte die Latkes vom Bett und legte das Kopfkissen des Kindes zurecht. »So, jetzt musst du dich ausruhen«, sagte sie und steckte ihn unter die Decke. Als Esther und sie im Garten waren, wiederholte sie in ruhigem Tonfall den gleichen Satz: So, nun muss er sich ausruhen. Sie fragte nicht nach einer Erklärung, sie wurde nicht ausfallend, nichts dergleichen, nur: So, nun muss er sich ausruhen, auf Wiedersehen, und sie drückte Esther das verlorene Skizzenbuch in die Hand. Hans stand neben der Leiter, in einer Hand hielt er den Pinsel, mit der anderen kratzte er sich am Kopf. Ja, sagte Esther, auf Wiedersehen.
    Sie verabschiedeten sich höflich, wie erwachsene Menschen. Esther war schon fast beim Morris angelangt, als ihr etwas einfiel. Schnell lief sie zurück, um zu sagen, dass es nicht schlimm war, dass sie nicht auf ihre Einladung geantwortet hatten, weil sie ohnehin einen Platz für sie freihalten würde. Doch durch den Gartenzaun hindurch sah sie einen Mann und eine Frau wie erstarrt einander gegenüberstehen. Etwas in den Augen seiner Ehefrau veranlasste Hans, den Pinsel in den Farbtopf zurückzustecken. Still drehte sie sich um und ging zurück zum Auto.

26
    Zwei Wochen später brach das Spektakel los. Der
Buzz
hatte gehalten, was er versprochen hatte, aufgeregt drängten sich die Gäste durch die überfüllten Reihen zu ihren Plätzen. Hinter den zugezogenen Gardinen, im gedämpften Tageslicht, beschlugen die Fensterscheiben. Esther empfing ihre Gäste in einem augenscheinlich simplen, doch sehr raffinierten, tomatenroten
Pinafore Dress
aus leichter Wolle. Sie schüttelte Hände, nahm Komplimente und Bukette entgegen und machte übermütige Bemerkungen, um die neue Zeit einzuläuten. »Time for a breath of fresh air«, rief sie, eine Bemerkung, die angesichts der stickigen Wärme in dem überfüllten Salon ziemlich fehl am Platze schien, aber dennoch mit großem Eifer aufgenommen wurde. Die ganze Zeit über behielt sie die Eingangstür scharf im Blick. Die Gesichter, die sie suchte, zeigten sich nicht, und eigentlich hatte sie das auch schon vorher gewusst.
    In der Ecke stimmte die Jazzcombo zum letzten Mal ihre Instrumente. (»You don’t want to know me«, hatte der Bassist düster gesagt, als sie

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