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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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sich einander vorstellten, und dabei seine alkoholschweren Augen tief in die ihren gebohrt. Noch in der gleichen Nacht landeten sie im Bett. Er nannte sie Lady Potatoe, wegen der Menge an Kartoffeln in ihrer Küche. Das ist etwas typisch Holländisches, erklärte sie, wir sind Kartoffelesser, Vincent van Gogh ist dafür berühmt gewesen.) Die letzten Tage vor der Schau hatte sie intensiv mit den Musikern und den Mannequins geübt, bis sie von der hitzigen Aufregung erfasst wurden, die es brauchte, um eine Schau zu etwas Besonderem werden zu lassen.
    »Esther!«, Rits fuchtelte über die Menge hinweg wild mit den Händen in der Luft herum und tippte dabei auf seine Armbanduhr. Auf beiden Seiten des Laufstegs standen die Stühle dicht an dicht. Gäste, die keinen Platz abbekommen hatten, begnügten sich damit, in Reihen an die Wand gelehnt zu stehen. Die Eingangstür konnte man nur noch mit Mühe schließen. Köpfe reckten sich erwartungsvoll in die Höhe. Zehn Minuten nach der geplanten Anfangszeit konnte sie es nicht länger herauszögern. »Esther!« Sie bahnte sich grüßend und küssend den Weg zwischen ihren Gästen hindurch zum Kopf des Laufstegs, wo das Mikrophon aufgestellt war. Dahinter hing ein großes Laken, das sie von Studenten der Kunstakademie mit phantasievollen Mustern hatte bemalen lassen. Und hinter dem Tuch stand die aufgeregte Gruppe von Mannequins und Stylisten, die panisch miteinander tuschelten. Es ging um Lockenkämme, die sich in den Haarsträhnen verwickelt hatten, oder einen Knopf, der unerwartet vom Rockband abgesprungen war. Esther streckte die Hand aus und ließ sich von Rits auf den Laufsteg geleiten. Allmählich ebbte das Stimmengewirr ab.
     
    Die Nacht nach dem Besuch bei Bobby war eine harte Nacht für sie gewesen. Gegen Morgen war sie erschöpft eingeschlafen. »Denk immer daran, Buba«, sagte ihr Vater im Traum, »du lebst nur zehnmal. Ich sehe, dass du oft betrübt bist. Und dann versuche ich, dass du auf irgendeine Weise Blumen bekommst.« Beim Aufwachen fiel ihr auf, dass er ihr nicht erzählt hatte, welches ihrer zehn Leben sie gerade lebte. Danach war sie wieder zu sich gekommen und hatte sogar etwas wie Erleichterung verspürt. Die Raubtiere zogen sich erschöpft in den Winterschlaf zurück. Dann mal wieder an die Arbeit, dachte sie ein wenig zittrig, los geht’s. Doch dem Jungen gegenüber schämte sie sich aus tiefstem Herzen, ein unangenehmes Gefühl, das sie nicht loswerden konnte. Hans und Marjorie hatten die Antwortkarte ihrer Einladung nicht zurückgeschickt. Ich muss nach der Schau mit ihnen reden, ich muss sie beruhigen, nach der Schau.
    Sie nahm ihre Position hinter dem Mikrophon ein, sie wusste alle Augen auf sich gerichtet. Unten neben dem Laufsteg brachte der Bassist mit der flachen Hand die Seiten seines Kontrabasses zum Schweigen. Er hatte gebieterische Hände und einen unzuverlässigen Charakter, sie würde es wohl eine Weile mit ihm aushalten. Schade, dass er genauso mager war wie sie, zwei magere Menschen im Bett, das ist wie zwei aufeinanderknallende Leitern, kawumms. Mit beherrschten Händen ergriff sie das Mikrophon und blickte in den Saal. Sie sah die Menschen im dicht gedrängten Salon und ließ ihren Blick über die erhobenen Gesichter schweifen. Für diesen Anlass hatte man seine Perlenketten herausgeholt. Frisuren waren hoch aufgetürmt, und Lippen waren geschminkt worden. Alle hatten ihr Bestes gegeben und waren voller Erwartung gekommen, so wie Esther es sich erhofft hatte. Sie stand auf einem Podium, das eigens für sie gebaut worden war. Einen schrecklichen Moment lang wusste sie nicht, warum sie das alles getan hatte. In diesem Saal war niemand, mit dem sie wirklich etwas zu tun hatte. Keiner dieser Menschen, die sie so neugierig betrachteten, liebte sie. Und sie selbst liebte keinen von ihnen. Einen schrecklichen Moment lang erstreckte sich ihr Leben vor ihr, weit wie die Polarebene, auf der eine Kollektion nach der anderen die Leere vorübergehend maskieren würde. Dann sah sie die Blumen.
    Hinten im Salon, auf dem Tresen: bunt gemischt standen dort Dutzende von Blumensträußen in Eimern, weil nicht genug Vasen da waren. Üppige, teure Sträuße, keiner hatte hinter den anderen zurückstehen wollen. Eine überwältigende Menge an Blumen, zu viel für einen einzigen Menschen, und doch waren sie alle für sie. Die Blumen nickten ihr zu.
    Esther holte tief Luft und tippte an das Mikrophon. Es wurde totenstill.
    Dann mal los, Buba, wir hören

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