Brautflug
Chanukka ist das Lichterfest. Dann backt man Latkes in Öl.«
»Warum?«
»Ja, warum backt man an Silvester Krapfen?« Die Wahrheit war, dass es sie nie interessiert hatte. Es hatte etwas mit dem Tempel zu tun, der entheiligt worden war und mit heiligen Ölkrügen, die entweiht waren. Alle bis auf einen, aber der hatte nur gerade genug Öl, um die Lampen einen Tag lang am Brennen zu halten, und dann, hoppla, wer hätte es gedacht, durch ein wahres Wunder brannten die Lampen einfach acht Tage hintereinander, und sie konnten den Tempel säubern und einen neuen Vorrat an heiligem Öl anlegen. Sie, das waren die Juden, doch das wollte sie nicht näher erklären.
»Darf ich noch einen?« Was für ein wohlerzogener Junge, dachte sie. »Lecker, nicht? Die hat meine Oma immer an Chanukka gebacken. Immer an Chanukka.«
»Ist jetzt gerade Chanukka?« Wie lustig, er konnte den harten, gutturalen Anfangslaut nicht aussprechen. Er ist ein Kiwi, ein waschechter Kiwi. Einen Moment lang wurde sie von einem Glücksgefühl übermannt. »Wenn wir das so wollen, ja.«
Er lachte kurz auf. Dieses Lachen. Jetzt begann alles vor ihren Augen zu tanzen.
Sie steckte blind die achte Kerze in die Menora und bückte sich, um Streichhölzer aus der Tasche zu nehmen. »Du bist Sallie so furchtbar ähnlich, weißt du das eigentlich?«
»Wer ist das?«
»Mein kleiner Bruder. Die gleichen Augen, die gleiche Stimme. Die Art, wie du dich bewegst, wie du lachst.«
Sie entzündete das Streichholz und nahm die neunte Kerze.
»Ist er auch ein guter Rugbyspieler?«
»Er ist tot. Sie haben ihn vergast. Du bist nur etwas blonder.«
Sie hörte die Worte aus ihrem Mund kommen und konnte selbst nicht glauben, dass sie das gesagt hatte. Hör sofort auf damit. Als die neunte Kerze endlich brannte, hielt sie sie an die erste der acht Kerzen. Sie merkte, dass Bobby sie mit großen Augen ansah, dass er aufgehört hatte zu kauen, dass seine Hand mit dem Latkes still auf der Decke lag, und sie wollte ihn beruhigen. »Sie waren immer auf der Suche nach Menschen wie uns«, sagte sie, »und eines Tages waren wir einfach an der Reihe.«
Etwas Kerzenwachs tropfte von der neunten Kerze herunter, weil sie sie schief hielt. Esther konzentrierte sich verzweifelt darauf, die Kerzen sorgfältig und ohne zu tropfen anzustecken. Sah, wie die kleine Flamme der Kerze in ihrer Hand den anderen Kerzen Licht gab, wie die zwei Flammen einen Moment lang ineinander verschmolzen, bis ihre Hand die Kerze zurückzog.
Alles musste sehr schnell gehen. Sie durften nichts mitnehmen. Es regnete. Erst musste jeder mit seinem Koffer in der Hand in den Lastwagen steigen, um dann in einem Gebäude zu warten, das vollgepfropft war mit Menschen. Es stank nach nassen Jacken. Es dauerte lange. Esther ging auf die Toilette. Auch dort musste sie lange warten, und die Klos stanken nach Fisch. Danach konnte sie Sal und die anderen nicht wiederfinden. Als sie auf der Treppe stand, sah sie sie weit hinten in einer Ecke stehen. Oma Berthi hatte einen Stuhl bekommen. Ihr Vater war nicht dabei. Auf einmal spürte sie seine Hand um ihr Handgelenk, er packte kräftig zu, er tat ihr weh. Er zog sie von der Treppe herunter, schräg durch die Menschenmenge hindurch. Sie stolperte mehrmals, und unten angekommen zeigte er mit zitterndem Arm auf einen großen Mann mit einer Kappe, der mit ein paar kleineren Kindern am Ausgang stand. Er sagte, sie solle mit dem Mann dort mitgehen, aber ein bisschen dalli. Sie erschrak zu Tode, das Gesicht ihres Vaters war eigenartig verzogen, und er schubste sie von sich weg. Als sie beim Ausgang ankam, rief die Kappe wütend: Wo bleibst du denn, die Kinder müssen nach Hause. Sie verstand überhaupt nichts und lief mit der Kappe mit, die sie und die anderen Kinder nach draußen in den Regen führte. Doch erst als sie in dem Haus angekommen waren, sah sie, dass Sal nicht mitgekommen war.
Acht Kerzen brannten jetzt, vorsichtig stellte sie die neunte in die Mitte, sah in die Flammen und konnte ihre Traurigkeit nicht unterdrücken. Ratlos saß sie da, auf der Kante des Jungenbettes. Es dauerte einen Moment, bis sie die Sprache wiederfand. Das Licht der Kerzen verbreitete seinen Schein. »Ich begreife es einfach nicht«, flüsterte sie heiser und wandte sich dem Jungen zu. Dieser sah sie fieberhaft an, sein Mund hing ein Stück weit offen. Sie suchte seine Hand, sie musste es wissen. »Ich begreife es noch immer nicht … wollte er nicht mit? Hat Mutter ihn bei sich behalten
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