Brautflug
Boden ihres Schiffes, dieses schwebenden Vergnügungsparks, gewöhnt. Dass das Rütteln zunahm, entging ihr. Atemlos stand sie da und sah sich an. Es war wunderschön. Wunderschön. Da stand sie nun, in dieser warmen Höhle, der Mädchengarderobe, sicher abgetrennt mit einer dicken Gardine – in einem unvergleichlichen Filmstarkleid. Sicher vor dem Zorn Gottes – doch niemals würde sie dieses Kleid tragen. Sie sah in ein anderes Leben, auf eine Frau mit göttlichen Allüren und Raffinesse. Dass sie schön war … nun ja, wer würde nicht schön aussehen, in so einer Kreation? Sie drückte mit dem Zeigefinger in die Wölbung ihrer Brüste, hoch getrimmt von den Knöpfen an der Rückseite, die Esther leise fluchend alle zubekommen hatte. Sie betastete vorsichtig den hauchzarten Kragen, gefaltete Schichten von zerbrechlichem Weiß, um die Schultern herum breit, zum Mittelpunkt immer schmaler zulaufend. Diese Frau würde man lieben. In sanft gefächerten Kleidern würde sie am Arm ihres Ehemannes, der sie beschützte und liebte, in der Abendsonne spazieren gehen. Esther war eine Zauberin.
Diesmal hatte der Kapitän sich entschieden, der Schlechtwetterfront nicht auszuweichen. Jetzt, wo der ernsthafteste Konkurrent aus dem Rennen war, blieb ihr eigener Zeitplan das wichtigste Ziel. Das Flugzeug sackte einen halben Meter und stabilisierte sich wieder. Ada erschrak sich jedoch viel mehr vor Frank, der die Gardine zur Seite schob und hineinstolperte.
»Ha …«, sagte er lachend, »ich durfte … sie sagte …« Er zog die Gardine zu. Mit aller Kraft versuchte sie, den Kragen hochzuzerren. »Lass nur«, sagte Frank, »lass nur.«
Sie ließ die Arme sinken. Sie standen sich in dem engen Raum dicht gegenüber. Wieder traf sie die Ruhe, mit der er sie ansah. Und wieder reagierte ihr Körper mit einer schweren Trägheit, die sie daran hinderte, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen.
»Ada van Holland«, sagte er und schwieg. Seine Augen verdunkelten sich.
»Ja?«
»Ich würde dich gerne …«
»Ja?«
Die Gardine wurde aufgezogen. Esther kam mit dem Petticoat auf dem Arm herein. Hinter ihr erschien das zerknitterte Gesicht von Marjorie. »Was macht ihr denn da?« Verwirrt sah sie zu Ada im Hochzeitskleid und zu Frank, der so nah bei ihr stand. Ob sie kämen, es wurde gewarnt, das Lichtzeichen »Rauchen verboten, Anschnallen« brannte. Esther zuckte die Schultern. Einen Moment lang standen sie sich zu viert unschlüssig in dem kleinen Verschlag gegenüber. Dann schien es, als würde das Flugzeug von einer unbekannten Macht hochgehoben. Das dauerte eine Ewigkeit, oder war es nur eine Sekunde? Danach fiel das riesige, stählerne Tier mit einem schweren Seufzer tausend Fuß oder mehr hinab in die Tiefe. Das ging so schnell, dass die vier sich in Gedanken noch immer in derselben Position befanden, ihre Körper wurden jedoch als ungeordnetes Knäuel aus Armen und Beinen an die Flugzeugwand geschleudert. Aus ihren Mündern entwichen Laute des Erstaunens und des Schreckens. Ada fiel mit dem Hinterkopf gegen den Kleiderständer und riss einige Jacken mit sich. Frank kippte vornüber gegen Ada; Esther und der Petticoat landeten auf ihnen. Marjorie klammerte sich an der Gardine fest und machte, in der Luft schaukelnd, ein Gesicht größten Erstaunens. Sie konnte sich allerdings nicht lange halten, die Gardine glitt zwischen ihren Armen hindurch, und sie donnerte auf den Knien über den Boden, der ebenso gut die Wand oder die Kabinendecke sein konnte.
Das Flugzeug stieg wieder und kippte dann zur Seite, wieder und wieder, ohne dass es sich dabei zwischendurch wieder richtig stabilisierte. Die Bewegungen wurden heftiger. Aus der Kabine ertönten erschrockene Seufzer und Geschrei – alle waren mit einem Mal hellwach –, Scheppern von Geschirr, das in der Bordküche umfiel, und Koffer, die aus den Gepäcknetzen heraustanzten.
»Anschnallen!« Die Stimme des Stewards wirkte nicht gerade beruhigend.
Sie hatten keine Zeit, sich von dem Schreck zu erholen, denn erneut wurde das Flugzeug unsanft angehoben und hin- und hergeworfen. Zwischen zwei Schlägen konnten sie sich wieder aufrichten. Ada trat auf die Innenseite ihres Brautkleides, klammerte sich an den Jacken fest und fiel zum zweiten Mal hin. Frank zog sie wieder hoch und legte seinen Arm so fest um ihre Taille, dass es wehtat. Sich an der Wand entlanghangelnd, folgten sie Esther und Marjorie, die versuchten, im Gang wieder auf die Füße zu kommen. Sie suchten an
Weitere Kostenlose Bücher