Brautflug
das glitzernde Wasser warf, dort, wo der indische Ozean in die Timorsee überging, waren alle um Ada herum wieder am Dösen. Erneut war eine Schlechtwetterfront vorausgesagt worden, aber bis jetzt war es noch erträglich, und weil sie nicht die Energie hatte, als Einzige wachsam zu bleiben, gab sie sich dem hochmütigen Gedanken hin, dass es so bis Christchurch weitergehen würde. Sie würden ohne Probleme in ihrem neuen Vaterland ankommen. Und in dem Flugzeug hatte ein junger Mann gesessen, der sehr freundlich zu ihr gewesen war.
5
Auf Strümpfen stand sie auf dem Gang. Sie hatte sich an der schlafenden Marjorie vorbeigezwängt, um auf die Toilette zu gehen. Ein schaukelnder Fußboden, schiefe Wände, das Loch in der Kloschüssel, aus der mit einem grässlichen Tosen ihr Urin in den beängstigenden, luftleeren Raum darunter gesogen wurde.
Schwankend lief sie zurück, vorbei an Esther und Frank, die mit geschlossenen Augen dalagen. Sie hielt kurz inne und reckte und streckte sich, um ihre Steifheit loszuwerden.
»Du bist ein bildhübsches Mädchen«, erklang eine heisere Stimme. Esther schlief nicht. Sie betrachtete sie, als würde sie etwas anderes sehen als den billigen, geblümten Baumwollstoff, der um ihre Hüften klebte. Verlegen ließ Ada die Arme sinken. Frank schlief glücklicherweise.
»Kannst du nicht schlafen?«
»Das ist ja wohl nicht zu leugnen«, fuhr Esther fort, »mit so einer Figur«, und sie streckte einen Finger in ihre Richtung. »Dior«, sagte sie bestimmt, »tatatataaa.« Das klang, als hätte sie soeben eine Feldschlacht gewonnen. »Mit einem Rock wie eine Explosion, bis hinunter zu den Knöcheln. Darf ich ein Brautkleid für dich zeichnen? Wirst du heiraten?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, befreite sie sich aus ihrem Sitz.
»Warte …«
»Komm mit.«
Einem Mädchen wie Esther widersprach man nicht. Bevor Ada begriff, was da passierte, stand sie schwankend in ihrer Unterwäsche in dem kleinen Garderobenraum, in dem vierundsechzig Jacken und ein paar Brautkleider in Kleidersäcken dicht nebeneinanderhingen. Esther bückte sich, sie hielt einen schneeweißen Stoff in den Händen und half ihr beim Hineinsteigen. Ada war froh, dass von ihrer Schwangerschaft noch nicht viel zu sehen war. Sie war rundlicher geworden, aber wer sie nicht kannte, dem würde es nicht auffallen. Als Erstes waren ihre Brüste angeschwollen. Esther versuchte das Kleid hochzuziehen, es würde wohl nicht ganz zugehen.
»Wenn du willst, mache ich für dich auch eins.«
Energische Hände drehten Ada um, und hinter ihrem Rücken wurde herumgenestelt, um so viele Knöpfe wie möglich zuzubekommen. Sie hielt den Atem an und sah geradewegs in den Spiegel, der neben den Jacken hing. Das Kleid war tief ausgeschnitten. Ein Teil ihrer Brüste blieb über einem Schalkragen aus Gaze sichtbar, der auch ihre Schultern nicht vollständig bedeckte.
»Ich weiß nicht, ob Derk …«
»Meine Nähmaschine kommt mit dem Schiff«, sagte Esther.
Sie alle hatten eine Kiste mit ihrem Hab und Gut vorschicken dürfen. Die Maße waren festgelegt. Adas Vater hatte die Kiste in den Abendstunden im Schuppen zusammengezimmert. Das war seine Art zu sagen, dass er ihr vergab. Das Schiff würde in etwa sechs Wochen im Hafen von Lyttelton, in der Nähe von Christchurch, einlaufen. Von dort aus würde es zu den verschiedenen Häfen von Neuseeland fahren, sodass die über das Land verteilten Neuankömmlinge ihre Sachen abholen könnten. Ihre Mutter hatte ihre geistesabwesende Tochter stapelweise Windeln in die Kiste packen lassen und kleine Hemdchen, Mützchen, Söckchen, kleine Laken und Decken und Strampelanzüge. Ada wusch, bügelte, faltete und stapelte und versuchte dabei, die winzigen Kleidungsstücke in ihren Händen möglichst nicht zu sehen.
»Ich weiß nicht, ob Derk …«
»Wann heiratest du?«, fragte Esther und zog den Ausschnitt noch etwas tiefer.
»Nein!«
»Zeigen, was man hat, warum denn nicht?« Sie fuhr mit den Händen durch Adas Haare, schüttelte ein paar platt gelegene Locken wieder zu neuem Leben auf, drückte das Ganze schräg zu einer Seite und steckte einen Kamm mit weißen Federn hinein. Sie musterte Ada scharf von oben bis unten, kniff ein Auge zu und schürzte konzentriert ihre roten Lippen. Etwas fehlte noch. »Warte«, sagte sie, »ein Petticoat.« Dann ließ sie Ada allein vorm Spiegel zurück.
Es dauerte nur ein paar Minuten. Inzwischen war es draußen dunkel geworden. Sie hatte sich an den instabilen
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