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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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& Loos und hatte es mit Abendstudium geschafft, sein Bürgerschuldiplom zu bestehen. Ein kluger Kerl. Sie selbst hatte sich nach dem Krieg nicht mehr dazu bringen können, das Gymnasium abzuschließen. Obwohl er kleiner war als sie, schienen sie doch gut zusammen tanzen zu können. Später am Abend streiften sie über die Lijnbaansgracht und machten den Zaaner Akzent der Familie Rep nach. Gorten statt Garten. »Ich muss mal eben nach Haous«, rief sie glucksend vor Lachen. »Wir haben den Leuten unser Leben zu verdanken«, bemerkte er unerwartet ernst. »Jaaa«, sang sie, »wenn wir uns da nicht hätten verstecken können!« Und erneut schüttelte sie sich vor Lachen. In der Straße, in der sie über einer Garage ein Zimmer gemietet hatte, blieben sie zögernd stehen. Er erzählte ihr von seiner bevorstehenden Emigration nach Neuseeland. Ich muss hier weg, sagte er, und sie verstand genau, was er meinte. Am Ende küssten sie sich, was sich merkwürdig inzestuös anfühlte, jedoch nicht unangenehm war. Schreib mir mal, sagte sie vielversprechend. Sie konnte nicht schlafen, und später in dieser Nacht wurde ihr so schrecklich schlecht, dass es ausgeschlossen schien, dass sie je im Leben wieder einen Tropfen Schnaps zu sich nehmen würde.
     
    Er hielt Wort, und die Briefe kamen recht regelmäßig und erzählten von einem entspannten und freundlichen Land mit viel Zukunft und wenig Vergangenheit. Währenddessen ging sie weiter aus und flirtete viel. Sie zog stets die Blicke auf sich, nicht, weil sie so hübsch oder besonders hässlich war – sie war keins von beidem –, sondern weil an ihr immer alles irgendwie übertrieben war. Das Zubettgehen zögerte sie gerne hinaus, da sie schlecht schlief. Tagsüber stand sie als Auszubildende in einem namhaften Modehaus, was in der Praxis bedeutete, dass sie für einen Hungerlohn die niederen Arbeiten verrichtete. Ständig lag sie mit ihrer Chefin im Streit, da sie ihrem eigenen Geschmack in Gegenwart der Kunden nur allzu deutlich Ausdruck gab. Es ist an der Zeit, einen eigenen Laden zu eröffnen, dachte sie. Aber um in Holland eine Firma zu gründen, dafür brauchte man Kapital und eine Ladung von Papieren, die schwierig zu bekommen waren. Sie wollte nicht endlos auf Konzessionen warten. Sie wollte auf gar nichts mehr endlos warten.
    Hinzu kam, dass die Stadt ihr es unmöglich machte zu vergessen. Es gab viele Gegenden, die sie mied, weil jeder Stein sie an etwas erinnerte. Mitten in einer Winternacht, als sie unter dem Fenster nackt im Bett lag, um die Kälte zu spüren, hörte sie das Kratzen von Raubtierkrallen auf dem Boden, und mit einem Mal wurde ihr klar, dass sie nie mehr würde schlafen können, solange sie in Europa blieb. Als Leon dann nach einem Jahr Korrespondenz in seinen Briefen vorschlug, dass er eine gemeinsame Zukunft für sie beide für möglich hielt, zögerte sie nicht lange. Neuseeland war das Auswanderungsland, das am weitesten weg lag, fuhr man weiter, so würde die Entfernung sich wieder verringern. Es störte sie zwar, dass er immer öfter über die jüdische Gemeinde in Christchurch schrieb, aber, dachte sie, die werde ich ihm schon auszischen.
     
    Wir schauen einfach mal, wie es läuft, schrieb er und schlug ritterlich vor, ihre Rückreise zu bezahlen, falls es ihr nicht gefiel. Obgleich er ihr keinen wirklichen Heiratsantrag gemacht hatte, fing sie an, sich über ein Brautkleid Gedanken zu machen. Abendelang saß sie da und skizzierte, um sich einen Entwurf nach dem anderen auszudenken, im Hintergrund die Musik der Kirchenglocken des Westertoren. Sie ließ sich von Diors New Look inspirieren und zeichnete ein sensationelles Kleid mit einer breiten Schulterlinie, einem eng anliegenden Leibchen und einem weit gefächerten Rock, der bis zu den Waden ging. Ballerinalänge. Eine wahre Stoffexplosion sollte der Rock sein, daran durfte nicht gespart werden. Textilwaren waren endlich nicht mehr ausschließlich mit Marken zu erstehen, und von ihrem Ersparten kaufte sie meterweise schweren, cremefarbenen Satin, eine vollkommen irrsinnige Investition. Wochenlang ließ sie, als sie nach Hause kam, den Stoff genießerisch durch ihre Finger gleiten, breitete ihn auf ihrem Bett aus, faltete und drapierte ihn auf unterschiedliche Weise über ihrem langen Körper, sodass sie sehen konnte, wie das Material fiel. Sie fertigte ein Musterkleid aus vollkommen verschlissener Baumwolle – ihren alten Bettlaken. Danach perfektionierte sie den Schnitt. Mit spitzer

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