Brautflug
jedoch ganz überflüssig, denn als sie aufsah, war er verschwunden.
Unterdessen behielt sie ihr Ziel deutlich im Visier. In einem unansehnlichen Laden in der Cashel Street saß eine alte Schneiderin, von der jeder sagte, dass sie sehr schöne Arbeiten erstellte, die aber ganz offensichtlich nicht viel Kundschaft hatte. Eines Tages spazierte Esther nach der Arbeit dorthin und sah beim Eintreten mit einem Blick, dass die Frau ihr nicht das Wasser reichen konnte. Altmodische Stoffe, vergilbte Muster, alles roch nach Stillstand, ihr Bügeleisen erwärmte sie noch mit Holzkohle. Anmutig kuschelte Esther sich in den Sessel gegenüber der grauhaarigen Dame, die sie hinter dicken Brillengläsern überrascht ansah. »Ich bin gerade erst hier angekommen«, seufzte sie, »ich will meine eigene kleine Firma aufbauen, aber könnte ich unterdessen nicht vielleicht für Sie arbeiten, um etwas zu lernen?« Sie breitete ihre Skizzen auf dem Tisch aus und entfaltete ihre Ideen. Nach einer Weile sagte die Frau, die Rose hieß: »Oh dear, ich merke, du bist mir um einiges überlegen.« Sie erhob ihren alten Körper keuchend und zeigte Esther den Rest des Ladens. Der war nicht wirklich etwas Besonderes, aber es war alles da, Nähmaschinen, Anziehpuppen, Ärmelkissen, Bügelkissen, bezogene Samtregale, Stoffbürste, alles, was man brauchte. Esther lobte sie überschwänglich. Dann schlug Rose vor, dass sie zu ihr in den Laden käme. Sie konnte Esther nicht bezahlen, doch sie konnte ihre eigenen Kunden heranholen. Wenn es gut ging, könnte sie den Laden übernehmen. Die Miete war lächerlich niedrig. Esther protestierte der Form halber.
In dem Maße, wie sich die Hochzeit näherte, der Dezember fortschritt und Sommerlicht die Abende länger werden ließ, wurde Marjorie von gnadenlosem Heimweh aufgesucht, der gefürchteten Einwandererkrankheit. Es fing mit dem lustig gemeinten Verbot an, das Wort »Hering« auszusprechen, und nur wenn es unumgänglich war, von den »salzigen kleinen Rackern« zu sprechen. Danach wurde es allmählich weniger witzig. Sie wetterte über das Klima, es wäre unmöglich, Weihnachten in der Sommerhitze zu feiern, und woher die Neuseeländer nur den närrischen Mut nahmen, Bäume mit kleinen Lichtern zu verzieren, wenn es ja nie richtig dunkel wurde? Dann wurde sie krank davon. Still saß sie mit dem Gipshirten in der Hand da, der kleinen Figur, die sie aus der Krippe zu Hause gemopst hatte. »Um mich zu beschützen«, sagte sie, »lieber hätte ich das Jesuskind gehabt, aber nun ja …« Esther sah, wie sie jeden Tag etwas blasser wurde und mehr von ihrer grenzenlosen Energie verlor, als würde sie sich selbst allmählich in einen langen, schlaffen Brautschleier verwandeln. Esther nahm sich ihrer an und half, wo sie nur konnte, bei der Vorbereitung des Hochzeitsfestes. Sie strich das Kleid mit ihrem neuen Bügeleisen glatt, putzte die Schuhe, drehte am Abend vor dem großen Tag Papilloten in das glatte, lustlose Haar, und gab sich die größte Mühe, nicht über den Anblick dieses Kopfes auf dem Kissen zu lachen. Sie saß unter einer Glühlampe und skizzierte den Entwurf für eine Bluse mit Jabot und überlegte angenehm schläfrig, welches das beste Material für solch eine Bluse wäre. Peggy hatte olivefarbenen Seersucker gekauft, doch Esther war nicht überzeugt.
Die Braut schoss im Bett auf wie eine lebendige Tote. Sie konnte nicht schlafen.
»Liegt das an mir?«
Im Schlafanzug setzte Marjorie sich zu ihr, still und demütig, und zupfte etwas am Stoff, der auf dem Tisch lag. Wie ein Kind, dachte Esther. Sie stand auf, nahm eine Tasse, schenkte Tee für sie ein und wartete ruhig ab, was jetzt kommen würde.
»Ich hatte Tapeten in dieser Farbe«, sagte Marjorie. Und darauf folgte eine Ewigkeit lang nichts. Esther nahm ihren Skizzenblock und zeichnete weiter. Sie tranken ihren Tee.
»In meinem Zimmer. Hatte ich mir selbst ausgesucht, als ich vierzehn war.«
Esther nickte.
»Später fand ich sie richtig hässlich. Kackfarbe.«
Sie schob den Stoff von sich weg. Seufzte, wand sich auf ihrem Stuhl. Sie neigte den Kopf und betastete die Papilloten. Sie saßen noch fest.
»Es ist wirklich schlimm, dass ich nicht schlafe.«
»Ach was«, sagte Esther.
»Dann hab ich morgen auf meiner eigenen Hochzeit Augenringe.«
Wieder blieb es eine Zeit lang still, die angenehme Stille der Nacht. In der Ferne schlug eine Kirchenglocke zwei Uhr. Esther schenkte die Tassen nach.
»Sehnst du dich nach der
Weitere Kostenlose Bücher