Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
Vom Netzwerk:
Urmutter. Verschwinde aus meinem Leben, denn ich mache da nicht mit. Ansonsten bist du ja ein recht netter Kerl.
    Aus Pflichtgefühl verfolgte sie noch kurz seine Versuche, ans Ufer zu gelangen. Er war ein guter Schwimmer. »Spinnerin!«, rief er. Seine Locken hingen ihm in nassen Strähnen in die Stirn, was seinem Gesicht einen dümmlichen Ausdruck verlieh.
    »Adieu«, rief sie. Und ohne sich noch einmal umzusehen, lief sie mit wiegenden Hüften zurück zum Fest, ein mächtiger Dompteur, der die lebensgefährlichen Tiere wie kleine Hündchen in ihrer Ecke hält. Sie traf auf Marjorie, die in ihrem Brautkleid stolpernd auf sie zustürmte, sie zur Seite zog und mit geröteten Wangen ihrer Entrüstung Ausdruck verlieh, dass die Kiwis ihre Hochzeitstorte nicht aßen, da sie nichts aßen, was nicht selbstgebacken war, einfach lächerlich.
     
    In der Nacht ertrank sie in einem Meer von Tränen. Sie schnappte nach Luft, und ihre Augen stachen und brannten von dem beißenden Salz. Sie brauchte sich nicht mehr zurückzuhalten, denn sie hatte das Zimmer nun für sich. Sie warf sich im Bett herum, richtete sich auf und fiel wieder zurück. In dieser Nacht nahm sie für immer Abschied von ihren Kindern. Ihre Kinder, für die sie so viel Liebe in sich trug. Ihre Kinder, die immer jüdische Kinder sein würden. Um ihre Kinder zu beschützen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten, mussten sie ungeboren bleiben.
    Trocken und benommen holte sie im ersten Morgenlicht ihr kaputtes Brautkleid aus dem Schrank und trennte die Nähte auf. Mit ihrem modernen Bügeleisen strich sie die Nähte glatt und heftete darauf die Musterteile für die Bluse mit Jabot fest. Am Ende dieses Sonntagabends war die Bluse fertig, und mit demselben Stoff hatte sie auch die Revers der Jacke bekleidet, was genau das Resultat hervorzauberte, das sie sich erhofft hatte. Peggy drehte sich girrend vorm Spiegel und zählte die Banknoten. Dann schenkte sie zwei kleine Gläser Gin ein, um es zu feiern. Sie prosteten einander zu. Esther sah durch die geöffneten Balkontüren auf den Mond. Der Geruch des Gins war ihr zuwider.

11
    In dem Raum, in dem Frank aufgebahrt liegt, herrscht die reglose Stille des Todes. Das leise, summende Geräusch des Kühlsystems unter dem Sarg verstärkt noch die Stille. Es ist dämmrig, die Gardinen sind geschlossen. Blumen und Kerzen erfüllen den Raum mit einem schweren Geruch, von dem man Kopfschmerzen bekommt. Schweigend stehen die drei Frauen am Sarg, der mit einer Glasplatte zugedeckt ist. Als ob der Tote in einem Museum liegt und gegen allzu unverfrorene Hände geschützt werden müsste. In der Ecke des Raumes sitzt eine alte Maori-Frau in einem Lehnstuhl. Sie sitzt breitbeinig, und ihre Unterarme ruhen auf dem karierten Plaid, das auf ihrem Schoß liegt. Wir lassen unsere Toten nicht allein, sagt sie. Danach schweigt sie wieder. Wir lassen sogar unsere Lebenden allein, denkt Ada. Sie weiß nicht, dass Esther und Marjorie genau das Gleiche denken. Keine der drei kennt die Frau. Niemand traut sich, etwas zu sagen. Die Anwesenheit der anderen lähmt sie. Es gäbe so viel zu besprechen, dass sie lieber schweigen. Ihre Augen suchen bei dem Toten Halt. Ab und zu schießen sie quer durch den Raum, um die anderen zu mustern, doch sobald ein Blick droht erwidert zu werden, richten sie ihn schnell wieder auf den leblosen Körper unter dem Glas.
    Ada, die in der Mitte steht, beugt sich nach vorne, bis sie mit ihrem Gesicht dicht über der Glasplatte hängt. Mit ihrer linken Hand hält sie ihre Paua-Kette an ihre Brust gedrückt, damit die harten Muschelstücke nicht gegen das Glas schlagen und so ein Geräusch machen würden. Sie hält sich schwankend auf den Beinen. Wie Frank hier liegt, so alt und mit solch einer scharf hervorstechenden Nase, seine dünnen, weißen Haare stramm zurückgekämmt und die Lippen streng und abweisend geschlossen, erkennt sie ihn nicht sofort. In ihrer Erinnerung ist er niemals alt geworden. Sie selbst ebenso wenig. Jetzt starrt sie direkt in ihr Alter und in alles, was unwiederbringlich vorbei ist. Diese Art der Gefühle hat sie nicht erwartet. Und dass Esther und Marjorie hier neben ihr stehen, auch nicht. Außerdem muss sie sich erst einmal erholen von dem, was sie alles auf dem Weg hierher gesehen hat, die Pracht dieses Weinguts, den ganzen Reichtum, die sichtbare und doch nicht nachdrückliche Anwesenheit von Geld. Erst diese Felder, die scheinbar endlos waren, sodass ihr fast übel wurde von Hitze und

Weitere Kostenlose Bücher