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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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wen denn? Für dich allein?«
    Das ist es. Ihr schnürte sich der Hals zu. Es geht um Kinder. Er will der neue Patriarch werden, er fühlt sich verantwortlich für ein neues, jüdisches Geschlecht, und er kennt niemand anderen als mich, um das durchzuboxen.
    Der Schlafmangel. Das Schlagen und Dröhnen der Orgel. Das Angst einflößende Brüllen, dem sie sich nicht mehr entziehen konnte. Der Geruch von Weihrauch, von dem ihr übel wurde und sie stechenden Kopfschmerz bekam. Das wahnsinnige Wummern in ihrer Brust.
    Er sagte nichts mehr, gab ihr ein Zeichen, dass sie still sein sollten. So saßen sie nebeneinander und konzentrierten sich auf das Ritual dort vorne. Hans streckte die Hand nach seiner Braut aus, und Marjorie legte ihre Hand in die seine, nun wieder strahlend. Wie schnell das geht. Esther hatte nichts gegen die Ehe. Die Ehe war ein natürlicher Punkt im Leben einer jungen Frau, und danach folgte, ebenso natürlich, die Mutterschaft. Vorsichtig suchte sie Leons Hand. Er wandte sich ihr überrascht zu, und Grübchen erschienen auf seinen Wangen. Er hat sanfte Augen, ich bin sentimental, weil so eine junge Braut ihre Hand in die Hand des Bräutigams legt. Ich kann nicht mehr denken, die Orgel ist schuld. Wenn ich nicht aufpasse, fange ich an zu heulen. Ich werde ihn heiraten. Wir werden nicht glücklich werden. Ob ich die Risse im Satin ganz wegbekomme?
     
    »Ich muss es jetzt wissen«, wiederholte er, als sie dann zusammen draußen den Avon entlangliefen, etwas abseits vom Hochzeitsfrühstück, das unter den Bäumen im Park stattfand. Sie nickte. Ihre hohen Absätze sanken tief im Gras ein, genau wie am ersten Abend mit Frank.
    »Esther, bleib mal stehen.«
    Jetzt kommt es, Heiraten wirkt ansteckend. Sie blieb stehen. Er griff sie am Arm und versuchte tapfer, den Größenunterschied zu ignorieren. Jetzt kommt es. Er räusperte sich.
    »Esther, du bist eine Tochter Israels.«
    Sie fing an zu lachen. »Oh, wie feierlich!«, rief sie und wusste, dass sie feige und gemein war. Ihre Hände bebten. Er, der Tapfere, der Unerschütterliche, der Bessere von ihnen, bebte ebenfalls. Wie wir hier stehen und zittern.
    »Ich will, dass du koscher kochst«, fuhr er fort, »darüber habe ich nachgedacht. Unsere Kinder müssen mit den Traditionen aufwachsen. Das ist wichtig.«
    Über Kinder hatten sie nie gesprochen. Das Wort Kinder war nie gefallen.
    »Wir feiern Sabbat, Purim, Chanukka, alles. Nur so können wir unser Leben weitergeben.« Eine dunkle Wolke schob sich vor die Sonne, der Himmel verdunkelte sich, in ihrem Kopf dröhnte die Orgel weiter. Sie kratzte in Panik über seinen Handrücken, auf dem dunkle Haare wuchsen, genau wie auf seiner Brust und auf den Beinen. »Auckland«, sagte sie. In der Ferne hörte sie seine Stimme. »Du bist so eine tatkräftige Frau. Setz deine Energien für ein höheres Ziel ein.« »Das da wäre?« »Das weißt du ganz genau.«
    Die Worte rollten hart und metallisch aus ihrem Mund, und während sie sprach, erlangte die Wut Oberhand über ihre Angst. »Jaaa«, sagte sie mit schneidendem Ton, »die Wiederauferstehung des Volkes Israel. Ich schenke dir Söhne und Töchter, und die wachsen auf als fröhliche, freie Juden …«
    Er ließ sie los und trat voller Abscheu einen Schritt zurück. »Wenn
das
deine Sichtweise ist …«
    Das war definitiv. Jetzt kommt er nicht mehr zurück. Hinter ihm sah sie den Fluss plätschern und glitzern. Aber sie konnte nicht mehr aufhören und zischte und peitschte ihn mit ihren Worten von sich weg. »… ich mache das Sabbatmahl, du sprichst das Gebet, unsere Kinder haben ordentlich gewaschene Haare. Wir werden eine dieser warmen, behaglichen jiddischen Familien sein. Wir zünden Kerzen an und singen Lieder für all diejenigen, die dort eingerahmt auf der Kommode sitzen und schlottern. Die singen mit uns mit. Sie essen mit uns mit. Ein Bissen für Oma, ein Bissen für Opa, ein Bissen für Sal, sechs Millionen Bissen. Ja, darauf freue ich mich ungemein!«
    Ich bin ekelhaft, ich sehe es an seinem Blick. Er sieht in mir eine Verräterin.
    »War ich dein Ticket zum Auswandern?«, fragte er kalt.
    »Ja«, sagte sie. Dann holte sie aus und stieß ihn mit einer einzigen Bewegung rücklings in den Fluss, sodass alles unumkehrbar sein würde. Ich befreie dich, sei froh darüber. Ich treffe die Entscheidung für uns beide. Du wirst mich so hassen, dass du nicht daran zweifeln wirst, und du kannst dich auf die Suche begeben nach deiner Sara. Nach deiner jüdischen

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