Brautflug
schrieb sie heimlich alle Krankenhäuser an. Noch vor dem Examen, das sie wahrscheinlich nicht bestehen würde, bekam sie eine Antwort vom Sint-Jozef-Krankenhaus in Eindhoven.
Die Nonnen dort hatten kein Problem mit ihrem Alter, sie durfte bei ihnen als Hilfsschwester arbeiten und bekam ein Zimmer im Schwesternhaus.
In der Küche gelang es ihr, die Mutter flüsternd auf ihre Seite zu ziehen. Als sie dann später in ihrem Zimmer lag, wartete sie das Gespräch der Eltern im Nebenraum ab, sie wagte nicht, sich zu bewegen. Zitternd überstand sie dann seine Tiraden und das kalte Schweigen, das darauf folgte.
Sie, die Jüngste, sein kleiner Liebling, ging als Erste aus dem Haus. Er war so verletzt, dass er sich nicht von ihr verabschieden wollte. Außerdem verbot er der Mutter, ihr eine Aussteuer mitzugeben, sodass sie mit ihrem einen Satz Kleider schon bald Schwierigkeiten bekam, diese sauber zu halten. Doch das tat ihrem Glück keinen Abbruch. Margot genoss einfach das Leben.
Krankenpflege klang für sie sehr vielversprechend. Es klang nach dem wirklichen Leben. Dass es in der Praxis nicht viel mehr beinhaltete, als in einem mörderischen Tempo Patienten zu waschen, Pflaster zu kleben, Betten zu beziehen und Blumen in Vasen zu stellen, störte sie nicht weiter. Sie durfte auch Kinder waschen, wiegen, füttern und auf dem Arm halten. Sie saß überglücklich in ihrem kleinen Zimmer im Schwesternhaus und freute sich stets auf den kommenden Tag.
Ihr Lohn reichte gerade zum Leben aus, aber sie brauchte nicht mehr, essen konnte sie in der Krankenhauskantine. Nach Hause fuhr sie so selten wie möglich. Ausgelassen radelte sie in ihrer freien Zeit mit den anderen Krankenschwestern über die Weiden, und im Winter fuhren sie Schlittschuh. Sie drehte Pirouetten und schwebte mit wehenden Haaren über die gefrorenen Kanäle, kreischend vor Vergnügen. Als sie sich für Tanzstunden in der Stadt anmeldete, wurde sie zur Oberin gerufen. »Das verbiete ich dir«, sagte die alte Nonne, »es würde dich zu sehr ablenken. Krankenpflege ist ein ernst zu nehmender Beruf.« Margot war zu beleidigt, um zu antworten. Wenn jemand eine gute Krankenschwester war, dann ja wohl sie. Sie wusste, dass es kein Gesetz gab, das Tanzstunden verbot, und tat es einfach trotzdem. Ohne jegliches Rhythmusgefühl hopste sie in den Armen von schwitzenden Büroangestellten vergnügt durch den Tanzsaal und fand, dass sie dabei eine sehr gute Figur abgab.
Dass sie die Krankenpflege ernst nahm, daran konnte niemand zweifeln. Nach einem Jahr bewarb sie sich beim Onze-Lieve-Vrouwe-Krankenhaus in Amsterdam und wurde als Lehrschwester angenommen. Endlich konnte sie ihre Ausbildung beginnen. Ihre Uniform musste sie selbst bezahlen, denn Krankenpflege war ein Ehrenposten für Mädchen aus gutem Hause, und geschenkt bekam man schließlich nichts im Leben. Sie hätte ihren Vater um Geld bitten können, aber das ging ihr gegen die Ehre. Wieder arbeitete sie hart und verbissen, saß in den Unterrichtsstunden der Ärzte in der ersten Reihe, lernte bis spät in die Nacht hinein, rannte morgens früh schon wieder durch die Säle – und genoss jede Minute. Dass die Nonnen, die in diesem Krankenhaus das Zepter schwangen, wahrhaftige Ekel waren, die jedem das Leben zum Graus machten, störte sie nicht. Die Dankbarkeit meiner Patienten ist der schönste Lohn, hielt sie sich selbst immer wieder vor. Dann wurde ihr ganz warm ums Herz. Die Uniform stand ihr gut.
Zu Hause ging es nun auch wieder besser, der Handel kam langsam etwas in Gang, ihr Vater lud wieder zu Hering ein, und sie blieb nun einmal sein Liebling. Sie fuhr etwas öfter an ihren freien Tagen mit dem Zug nach Zaandam, blieb bis nach dem Abendessen und plapperte über das Krankenhausleben. Zwei ihrer älteren Schwestern waren inzwischen verheiratet, doch aufgrund der allgemeinen Wohnungsnot wohnten sie mit ihren Ehemännern und Babys im Elternhaus, was für viele Spannungen sorgte, mit denen Margot zum Glück nichts zu tun hatte. Sie konnte sich nach dem Essen vergnügt verabschieden, tschüs, Pa, bis zum nächsten Mal. Manchmal tippte er ihr wie früher mit dem Zeigefinger auf die Nase. Ob seine Tochter schon einen hübschen Chirurgen aufgetan hatte, wollte er wissen.
Im Rahmen der Ausbildung musste sie auf allen Stationen arbeiten, auch auf der Tuberkulosestation, die wegen der großen Ansteckungsgefahr in einer gesonderten Baracke untergebracht war. Sie musste Mundschutz tragen und sich oft die
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