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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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Hände waschen. Wenn sie Wunden säuberte, knöpfte sie über ihre eigene Schürze eine etwas stärkere Schürze, um die Tbc-Bazillen abzuhalten. Die Spuckbecken wurden mit starker Lysollösung sauber gemacht. Einige Barackenbewohner waren schwer krank, andere lagen dort einfach schon sehr lang – die wirklichen Unglücksraben starben. Die Fälle, die nicht mehr »offen« waren, lagen zusammen. Manchmal mussten sie sich jahrelang kurieren. Und kurieren bedeutete ruhen, denn ein Körper im Ruhezustand konnte die Bazillen besser bekämpfen. Mit ein bisschen Pech – einem angegriffenen Wirbel und dem daraus folgenden Risiko einer Lähmung – lag ein Patient sechs, sieben Jahre lang flach auf dem Rücken. Er lag dann hoch oben im Zimmer auf einem schmalen Holzbrett, ohne Seitenwände, sodass er herunterfallen würde, wenn er sich bewegte. Um zu verhindern, dass die Patienten vom ganzen Ruhen verrückt wurden, gab es Arbeitstherapie, sie flochten Körbe und Gürtel und reihten Perlenketten auf.
    Bis auf einen.
    Hans Doorman lag schon seit drei Jahren im Bett und studierte, in einem Saal mit fünf anderen jungen Kerlen. Er hatte Glück gehabt, nur seine Lungen waren angegriffen, und er war fast genesen. Liegend hatte er seinen Gymnasialabschluss gemacht, seine Bücher hielt er über dem Kopf. Seit kurzer Zeit hatte er sich nun sogar aufgesetzt und angefangen, Baugeschichte zu studieren. Jedes Mal, wenn Margot hereinkam, sah er auf und verfolgte mit den Augen ihre Bewegungen. Wenn sie sich über ihn beugte, um Tropfen in sein entzündetes Ohr zu geben, neckte er sie, indem er zwischen seinen Fingern einen Bleistift vor ihrem Gesicht auf und ab bewegte.
    »Halt endlich den Bleistift still.«
    »Stört dich das, Schwester?«
    »Ja.«
    Er neckte sie weiter, sie stampfte mit den Füßen. »Ich will das nicht«, rief sie und versuchte, ihm den Stift wegzunehmen. Es war ein Ritual, die Jungen in den anderen Betten sahen interessiert zu. Jeden Tag, wenn sie mit den Tropfen kam, foppte er sie auf diese Weise, und sie stampfte mit den Füßen. Langsam überkam sie ein Gefühl, das ihr bislang unbekannt gewesen war, und sie fing an, sich Ausreden zu überlegen, warum sie öfter in seiner Nähe sein musste.
    In diesem Saal dominierte die Hoffnung, es wurde viel gelacht; sechs junge Männer, die sich nicht mehr krank fühlten und nun langweilten. Je näher der Tag der Genesung rückte, desto schwieriger wurde es, still zu liegen. Sie platzten vor Energie, und die Anwesenheit einer netten Krankenschwester trieb sie zu den wahnwitzigsten Dingen, von denen die Nonnen natürlich nichts mitbekommen durften. Das Größte war eine Runde Handball zwischen dem mannshohen Heiligenbild am Eingang und dem Aquarium auf der gegenüberliegenden Seite, mit blitzschnellen Würfen. Je höher die Schreie der Schwestern, umso schneller die Bälle. Oder sie setzten sich die desinfizierten Spuckschalen umgekehrt auf den Kopf, stellten sich als eherner Chor auf und verballhornten mit ihrem Gesang die Kirchenlieder. Margot, die brav katholisch war, von Hause aus jedoch kein besonderes Verhältnis zu Priestern und Nonnen hatte, machte sich fast in die Hose vor Lachen. Auch als sie nicht mehr auf der Station arbeitete, schlenderte sie in ihrer Freizeit durch das Krankenhaus und landete dann zu ihrem eigenen Erstaunen immer bei »ihren« Jungs. Sobald Hans sie hereinkommen sah, legte er seine Bücher weg, tat so, als würde er Gürtel flechten und nahm dann an ihrer Taille Maß, ihrer »hübschen, schmalen Taille«, wie er immer sagte. Seine Hände konnten die hübsche, schmale Taille ganz umfassen, das konnte er jedes Mal gar nicht glauben. Warum nur wurde ihr davon immer ein bisschen schwindelig? Die Hände könnten, wenn es nach ihr ginge, stundenlang dort verweilen oder an ihren Hüften nach unten gleiten, oder nach oben zu ihren Achseln. Aber nun ja, irgendwie verwirrte es sie. Sie redete mit niemandem darüber, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. An einem ihrer freien Abende begleitete sie Vater ins Kabarett. Er legte in alter Gewohnheit seine Hand um ihre Taille. Sie erkannte das Gefühl und erschrak, wandte sich zur Seite, glitt aus seinem Arm und lenkte ihn dabei mit einer fröhlichen Geschichte ab.
     
    Es wurde Frühling. Hinter der Baracke war ein leerer Platz im Freien, wo altes Zeug gelagert wurde, dreckige braune Kleider, ein ausrangiertes Bettgestell und anderes Gerümpel. Dort fingen sie an, sich in ihren wenigen freien Stunden zu

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