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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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er im Sarg lag. Einen Moment zog sie seinen Pyjama in Erwägung, da sie vor der erschöpfenden Arbeit zurückschreckte, die ein ganzer Anzug und ein Oberhemd bedeuten würden, vor noch mehr Gezerre mit diesem schweren Körper. Aber sie holte doch seinen neuen Anzug aus dem Schrank, einen eleganten, dunkelblauen Anzug, zu dem er sich wie immer von ihr hatte überreden lassen. Das war das erste Mal, dass er ihn trug. Sie keuchte, stützte, schob und zog, und ihre Hände begriffen erneut, dass Hans nicht mehr hier war, dass er Materie geworden war, ein Körper, der ihm gute Dienste geleistet hatte, der aber ohne ihn keinen Nutzen mehr hatte. Sterbliche Überreste. Sie band ihm die gestreifte Seidenkrawatte, so gut sie konnte, und knöpfte sein Jackett zu. Dann zauberte der Bestatter eine Dose Trockenshampoo aus seinem Koffer hervor. Wie altmodisch, dachte sie, Trockenshampoo. Wissen Sie, warum, fragte er, wenn man die Haare eines Toten mit Wasser wäscht, werden sie nie mehr trocken. Diesen Satz würde sie im Gedächtnis behalten. Weiße Wolken Trockenshampoo um Hans’ Gesicht herum, und sie hatte doch Angst, dass er sie einatmen könnte. Der Bestatter hob den Kopf, und sie kämmte die dünnen Haare vorsichtig glatt. Ach, mein Geliebter. Danach fegte der Bestatter mit einem Pinsel den Puder weg und begann mit der Maniküre und dem Entfernen von Nasenhaar. Es kann auch sein, dass die Reihenfolge anders gewesen ist. Er begann, ihr etwas über den Mund zu erklären. Es gab derzeitig ein paar verschiedene Möglichkeiten, und all diese Möglichkeiten hatten ihre Vor- und Nachteile. Die Entscheidung lag bei ihr, der Witwe, aber er riet ihr sehr dazu, sich für das unsichtbare Aneinandernähen der Lippen zu entscheiden, da ihr Mann so am besten aussehen würde, ohne nach hinten fallenden Unterkiefer oder störendes Band um das Kinn. Das machten alle so, versicherte er ihr, das sah viel besser aus. Sie musste nur wissen, ob sie dabeibleiben wolle. Während er das sagte, nahm er Nadel und Faden aus dem Koffer. Ich bin Krankenschwester, die sind so einiges gewöhnt, wollte sie sagen, doch stattdessen flüchtete sie auf den Gang hinaus, lehnte sich benommen gegen die Wand am Türrahmen und wartete, bis er die Tür öffnete und sie wieder hineinließ. Sie wagte nicht, Hans’ Mund anzusehen, und bereute es, dass sie zugestimmt hatte; dass mit einer Nadel in seinen toten Körper gestochen worden war, in die weiche Innenseite seiner Lippen, und dass die Stiche dort für immer bleiben würden. Der Bestatter kündigte an, dass er kleine halbrunde Kugeln unter die Augenlider schieben würde, da tote Augen sonst einfallen, und auch das war kein schöner Anblick bei der Anteilnahme, wie er es nannte. Sie, die immer alles ertragen konnte, trat erneut auf den Gang hinaus, lehnte sich mit schlapp nach vorn gebeugtem Kopf an die Wand und hörte, um nicht wegzudämmern, den gedämpften Stimmen von Bob und Vera im Wohnzimmer zu. Dann war Hans fertig für die Anteilnahme. Als Letztes zogen sie das Laken gerade und falteten seine Hände über seinem Bauch. Seine Hände waren kalt und passiv, was sich wie eine Ablehnung anfühlte. Und während der Bestatter ins Wohnzimmer ging, um den anderen zu sagen, dass sie hereinkommen konnten, saß sie in einem wirklichkeitsfremden Gemütszustand neben den sterblichen Überresten ihres Mannes. Wenn dieses Theater erst einmal überstanden war, konnten sie mit ihrem Leben fortfahren. Er musste dringend zum Friseur, und sie wollten endlich einmal nach Mauritius. Außerdem waren sie in ein äußerst wichtiges Gespräch verwickelt, und das hatten sie noch nicht zu Ende gebracht. Sie mussten eine schwierige Entscheidung treffen. Er konnte nicht von ihr verlangen, dass sie das allein tat.
    Der Bestatter schloss seinen Koffer, wünschte jedem Glück und Kraft beim Verarbeiten des Verlustes und verschwand so lautlos, wie er gekommen war. Auf eine bestimmte Art war sie ihm dankbar. Eine Stunde später versuchte sie, sich sein Gesicht ins Gedächtnis zu rufen, doch von seiner Erscheinung war nichts zurückgeblieben. Es war, als wäre er nie da gewesen.

12
    Marjorie wurde in einem Doppelbett in Enschede geboren, als übermütige Nachzüglerin einer Familie mit fünf Kindern. Ihr eigentlicher Name war Margot. Sie hatte das tatkräftige Temperament ihres Vaters und teilte seinen Drang, ständig für ihre Taten gelobt zu werden. Sobald Marjorie laufen konnte, wurde ihr Schritt genau wie der seine, federnd und wippend.

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