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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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gib mir nur wenig, bettelte sie in der Küche, wenn sie roch, dass dort Chicoree gekocht wurde. Ihre Mutter versuchte dann so unauffällig wie möglich, ihr nur eine kleine Portion auf den Teller zu tun, denn wenn er das sah, machte er eigenhändig eine doppelte Portion daraus, es ging schlussendlich um ihren Charakter. Er meint es gut, sagten die Augen ihrer Mutter. Er war der Meinung, dass seine Kinder hart werden müssten, um später in der Gesellschaft bestehen zu können. Er war besorgt und wollte nur das Beste für sie. Die Jungen mussten auf die Höhere Bürgerschule. »Dann habt ihr den anderen was voraus.« Am Tisch wurden die Noten verglichen, und wer am schlechtesten war, wurde im Beisein der anderen gedemütigt. Zu seinen Töchtern sagte er: »Dass ihr mir niemals Fabrikmädchen werdet.« Die kleine Margot kämpfte sich durch die Schule. Sie beendete die Volksschule mit anständigen Noten.
     
    Dann kam der Krieg, und der Handel mit Geschirr brach ein. Niemand gab Geld für Porzellan und Kristall aus, das war überflüssiger Luxus. Man benutzte eben das, was man hatte, und damit basta. Das Haus quoll über von Stapeln unverkäuflicher Wedgwood-Teller und -Schüsseln. In den guten Jahren hatte der Vater Geld zur Seite gelegt, und mit viel Sparsamkeit und Eifer lotste er seine Familie durch die schwierigen Jahre, etwas, worauf er hätte stolz sein können, doch er sah nur seine Misserfolge und seine Kinder zu dem gleichen Schicksal verurteilt. Das machte ihn bitter und zornig. Margotchen, die sich in der Schule immer sehr angestrengt hatte, ging auf die Hauptschule, etwas anderes kam für sie nicht in Frage. Zwei Jahre nach dem Krieg, als sie fünfzehn war, bestand sie ihre Abschlussprüfung überwiegend mit guten Dreien. Bei der Zeugnisvergabe stand sie strahlend da und wartete auf seine Glückwünsche. Er umarmte sie lange, beinahe erstickte sie in seinem Kammgarn-Revers. »Einen fähigen Ehemann«, war das Einzige, was er sagte, immer wieder, »einen fähigen Ehemann«, als würde sie unter einer lebensbedrohlichen Krankheit leiden und dies die einzige Medizin dagegen sein.
    Danach bestand er darauf, dass sie zwei Jahre lang die katholische Haushaltsschule besuchte, um sich auf das Leben als Hausfrau dieses fähigen Ehemanns vorzubereiten. Das war kein großer Erfolg, sie benahm sich in den Unterrichtsstunden widerspenstig, das Backen und Braten ging ihr nicht leicht von der Hand, Nähen, Stopfen und Handarbeiten verweigerte sie (sie war ebenso dickköpfig wie er) und bekam dafür dann auch keine Note auf dem Zeugnis. Kinderpflege – das Üben an strammen Babypuppen – und Erziehung, das gefiel ihr. Und das Lachen mit den Mädchen aus ihrer Klasse. Interesse für Jungen hatte sie keines. Die Nonnen ermahnten die Mädchen, niemals die Straße entlangzugehen, die an der Jungenschule vorbeiführte. Dass sie sich daran hielt, lag einzig und allein an ihrem Desinteresse.
     
    Auch in den Jahren nach dem Krieg blieb die Nachfrage nach Geschirr gering. Holland kam mühsam wieder auf die Beine, es fehlte an den einfachsten Dingen. Niemand kaufte neue Dessertteller oder Cognacgläser. Zu Hause gab es nicht mehr viel zu lachen, doch Margot bemühte sich nach allen Regeln der Kunst, die Sonne aufgehen zu lassen. Als ihr Vater verkündete, dass er mit seiner Jüngsten ins Kabarett gehen wollte, »für deine kulturelle Entwicklung«, lieh sie sich ein Kleid von ihrer älteren Schwester und ließ sich als ausgelernte kleine Dame ins Theater begleiten, sein Arm war um ihre Taille gelegt. Mit einem kleinen Klaps auf den Hintern dirigierte er sie durch die Drehtür. Sie wusste nicht, wie sie das zu deuten hatte. Das Kabarett ließ sie innerlich seufzend über sich ergehen. Inzwischen war sie siebzehn.
    So lange sie denken konnte, wollte sie in der Krankenpflege arbeiten, am liebsten Kinderpflege, da sie ganz vernarrt war in die Kleinen. Aber sie war zu jung, um irgendwo als Lehrschwester angenommen zu werden. Er überredete sie zu einer Ausbildung zur Apothekenhelferin. Pillen drehen, milligrammweise abwiegen und Puder in glasartige Papierchen falten, das konnte sie gut. Pflanzen erkennen lag ihr dagegen weniger. Sobald der Lehrer die Pflanzennamen in anderer Reihenfolge sagte, konnte sie es nicht mehr. Sie wollte nicht scheitern und biss sich energisch durch. Bis in die Nacht hinein lernte sie lateinische Namen. »Acidum acetylo salicylicum …«, murmelte sie, über ihren Büchern einnickend. Währenddessen

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