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Brautflug

Brautflug

Titel: Brautflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marieke Pol
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zwei Jahre lang nicht mehr an, und auch Vater kam nicht mehr darauf zu sprechen. Im Kreiskrankenhaus machte sie ihr Krankenpflegediplom. Die ganze Zeit über wohnte sie in ihrem Elternhaus und war peinlich darauf bedacht, dass die Sonne stets schien. Wollte er ins Kabarett, dann begleitete sie ihn frohgemut, in steifer Umarmung, sodass sein Arm sich nicht um ihre Taille legen konnte. Wenn sie mit einer Freundin ins Kino wollte, fragte sie ihn brav um Erlaubnis. Er erlaubte es immer, vorausgesetzt, sie kam früh genug nach Hause. Die Briefe von Hans landeten bei derselben Freundin. Er genas erfolgreich, durfte schon bald »spazieren gehen«. Dann trafen sie sich im Oosterpark, er im zu kurzen Anzug eines Jungen, der es zu nichts gebracht hat. Nach ein paar Monaten wurde er für genesen erklärt. Genau wie ihr Plan es vorsah, stellte er direkt einen Auswanderungsantrag. Die Monate bis zu seiner Abfahrt wohnte er in Nord-Amsterdam in dem kleinen Haus bei seinen Eltern, Brüdern und Schwestern. Margot lernte sie an den Abenden kennen, an denen sie angeblich Dienst hatte. Vor allem mit seinem Vater, einem sanftmütigen Mann mit riesigen Pranken, verstand sie sich sehr gut. Zusammen mit ihrer zukünftigen Schwiegerfamilie brachte sie Hans zum Schiff. Als sie ihn zum Abschied umarmte, fühlte sie, dass er langsam Fleisch auf seine mageren Rippen bekam und dass seine Muskeln stärker wurden. Und als er seine Hände zum letzten Mal um ihre Taille legte, merkte sie, dass sie ihre alte Kraft zurückgewonnen hatten. Der Abdruck seiner Hände glühte noch das ganze Jahr lang nach.
     
    Vater ermutigte sie zu ihrem Englischkurs. Mit einem fast unanständigen Vergnügen ließ sie sich von ihm Vokabeln abfragen. Als er einmal fragte, was sie damit vorhatte, erklärte sie klar und deutlich, dass sie darüber nachdachte, in der Mission zu arbeiten. Danach fühlte sie sich schlecht, doch das Gefühl hielt nicht lange an.
    Regelmäßig fuhr sie mit dem Rad zu ihrer Freundin, um die neuesten Briefe von Hans zu lesen. Jeder Satz erzählte von Lebensfreude und Fortschritt. Er fühlte sich von der harten Arbeit an der frischen Luft kerngesund, hatte einige Kilo zugenommen und war stark wie ein Bär geworden, schrieb er. Und er schrieb auch: Mädchen, Mädchen, wie ich mich nach dir sehne. Nicht mehr lange, schrieb sie zurück, nicht mehr lange.
     
    Am Morgen ihres einundzwanzigsten Geburtstages fuhr sie nach Den Haag und stellte einen Antrag für ihre eigene Auswanderung. Am Abend ihres Geburtstagsessens, zwischen funkelnden Kristallgläsern und ihrem schönsten und teuersten Geschirr, offenbarte sie ihrer Familie mit zitternden Gliedern ihren ganzen Schwindel und schloss ihr Geständnis mit der Mitteilung, dass sie bei einem internationalen Flugrennen mitmachen würde.
    »Und
by the way
«, sagte sie, »ab sofort heiße ich
Máááárjery

     
    Vater durchlief alle möglichen Phasen, er schrie, drohte, flehte, warf mit Geschirr (davon gab es genug), lobhudelte, schmeichelte, schwieg, ignorierte sie, schwieg noch länger, tigerte mit aufeinandergebissenen Zähnen durch den Flur. Sie sah sich alles an und blieb höflich, denn es berührte sie nicht. Sie war ihr eigener Chef, niemand konnte ihr vorschreiben, was sie zu tun oder lassen hatte. Als er das endlich verstand, änderte er den Kurs und begann, sich um ihre Aussteuer zu kümmern. Er füllte die Kiste von oben bis unten mit prächtigem Geschirr – denn seine Tochter sollte keine Bettlerin sein – und hämmerte eigenhändig die Beschläge auf die Ecken.
    Über seinen zukünftigen Schwiegersohn, den Tuberkulosepatienten, verlor er kein Wort.
    Auf Schiphol sah sie dunkle Tränen in seinen Augen, zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie erschrak darüber. Er tippte ihr so kräftig mit seinem Zeigefinger auf die Nase, dass es wehtat. »Denk daran«, sagte er, »es liegt immer etwas Geld für deine Rückreise bereit.« Einen Moment lang war sie gerührt darüber, doch in London, auf dem zugigen Flughafen, als sie in ihrem Brautkleid für die Fotografen posierte, kam ihr dieser Satz wieder in den Sinn, und mit einem Mal schoss die Wut in ihr hoch. Er denkt, dass es nichts wird. Sie winkte weiter mit wilden Armbewegungen, den Mund triumphierend geöffnet. Es war, als würde er noch immer dort stehen und als wollte sie ihn mit stummen Schreien davon überzeugen, dass er unrecht hatte, dass er vollkommen unrecht hatte. Er denkt, dass nichts daraus wird, dass ich auf den Knien wieder

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