Brautflug
bewegen«, sagte Hans. Ah, er war also tatsächlich hier, obwohl sie eigentlich dachte, dass sie das geträumt hatte. Sie durfte sich nicht bewegen, nun gut, das war ihr ganz recht, sie lag hier wunderbar, und außerdem war sie schrecklich müde. Sie wurde in Ruhe gelassen. Sie hatte keine Energie zu fragen, ob alles ordentlich geregelt wurde. Unter großer Anstrengung drehte sie ihren Kopf zu der Seite, wo die Stimme von Hans herkam, in der Hoffnung, ihm so klarzumachen, dass er sich darum kümmern sollte. Er saß tatsächlich da. Sie lächelte ihm zu. Er lachte nicht zurück. Sie war sich aber eigentlich auch gar nicht ganz sicher, ob sie überhaupt gelächelt hatte.
»Der Chirurg ist informiert«, sagte er auf Niederländisch zu ihr, »er kommt gleich.«
Aus der Dunkelheit heraus tauchte nach einer Ewigkeit sein Gesicht wieder auf. Dieses Mal stand er an dem Platz des Malermeisters und sah sie prüfend an. Hallo, mein Liebling, wollte sie rufen, aber sie wartete damit, weil sie nicht so recht wusste, wie sie anfangen sollte.
»Ich habe den Wohnwagen jetzt doch gemietet«, sagte er. Seine Stimme klang eigenartig. Neben ihm erschien nun das Gesicht von Esther. Es war Marjorie ein Rätsel, was sie hier wollte.
»Er ist mit dem Preis etwas heruntergegangen.«
Ihre Augenlider fielen wieder hinunter. Durchaus kein unangenehmes Gefühl.
In dem Streifen Sonnenlicht, das zwischen den Gardinen hereinfiel, wirbelte Staub durch die Luft. Das beobachtete sie, als der Chirurg am nächsten Tag seine Rede hielt. Er saß auf einem Hocker neben ihrem Bett. Er atmete, als hätte er Asthma. Ein paar Worte erkannte sie, wie
Foetus
und
Hymen
, mehr jedoch nicht. Hans, der am Fußende stand und sie mit besorgtem Gesicht ansah, übersetzte. Der Fötus hatte sich außerhalb der Gebärmutter befunden, er wäre fast durch die Wand ihres Eileiters gegangen. Es hatte nur wenig gefehlt, und sie wäre tot gewesen. Der Eileiter war nun herausgenommen worden. Er war verklebt gewesen. Darum konnte der Fötus nicht in die Gebärmutter gelangen. Ihr anderer Eileiter war ebenfalls verklebt. Sie hatten das Gewebe so gut es ging entfernt, aber es konnte wiederkommen. Das war sogar recht wahrscheinlich. Theoretisch konnte sie schwanger werden, aber die Chance war klein. Marjorie studierte das Tanzen der Staubpartikel im Sonnenlicht und lauschte den quietschenden Kreppsohlen der Krankenschwester, die mit einem Tablett mit Tee das Zimmer betrat. Es geht zu schnell, dachte sie, jeder ist schneller als ich, ich bin irgendwo zurückgeblieben.
»Ich will ehrlich zu Ihnen sein«, keuchte der Chirurg, »die Chance ist sehr klein.« Hans übersetzte es. Sie verstand es auch so. Er tat es trotzdem. Der Mann stand auf, er musste mit seiner Visite weitermachen.
»Praktisch gleich null.«
Hans schwieg. Der Arzt nahm seine Akten vom Bett und wedelte eine nicht vorhandene Fliege fort. »Suchen Sie sich ein neues Lebensziel«, sagte er, »es gibt andere schöne Dinge, die eine Frau tun kann.« Dann nickte er munter und verließ das Zimmer. Sie merkte, dass Hans nicht mehr übersetzte. Es war ihr ohnehin egal. Die Worte hatten sowieso keine Bedeutung, wirbelten trocken durch den Raum, wie Staubpartikel. Ich bekomme alles mit, dachte sie. In der Ferne dämmerte ihr vage die Konsequenz, die diese Nachricht haben würde, doch wenn es nach ihr ging, konnten sie dieses Gespräch gerne noch ein paar Mal wiederholen. »Hast du es verstanden?«, fragte Hans. Was änderte das jetzt schon. Sie zuckte die Schultern, sehr vorsichtig, wegen des stechenden Schmerzes in ihrem Bauch. Lass mich einfach in Ruhe. »Soll ich es dir noch einmal langsam erzählen?« Sie schloss die Augen, nein, nicht nötig. Die quietschenden Sohlen der Krankenschwester waren zur Gardine herübergewandert. Der Sonnenstrahl verschwand. Es wurde dunkel.
Sieh nur, da läuft die Mutter mit ihrem neuen, modernen Kinderwagen. Es ist natürlich der beste, den sie kriegen konnten. Sie spürt den Griff angenehm kühl in ihren Händen. Die Umgebung ist wunderschön, eine Küstenlinie mit Kreidefelsen. Hoch über dem Ozean läuft sie über den Rasen und schiebt den Wagen stolz vor sich her. Selbstverständlich scheint die Sonne. Was für ein Tag. Die Räder des Wagens fahren wie von selbst über das unebene Gelände. Er hat kräftige, neue Reifen. Was für eine Frau, welch ein Glück. Sie hat so viel Energie. In einem Tempo, das einem ein Lächeln entlockt, wirbelt sie durch die Landschaft. Doch
Weitere Kostenlose Bücher