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gezerrt, niemand wollte mit der gefallenen Legende Tom Hagen noch irgendetwas zu tun haben.
Er stürzte ab wie Ikarus.
Und so fragt er sich jetzt, da sie einträchtig vor einem Café in der Frishman Street sitzen, dreierlei:
Warum hat Björklund ihn nach all den Jahren wieder angerufen? Was hat seinen Gesinnungswandel ausgelöst? Und was genau meinte er am Telefon, als er Hagen vorschlug, nach Tel Aviv zu kommen, er habe da möglicherweise was für ihn.
»Uri Blau. Klingelt da was?«
Uri Blau –
Hagen knabbert an seinem Minzesträußchen.
Doch, da klingelt was. Gar nicht so lange her, dass er den Namen gehört hat, nur dass sich die zugehörige Story nicht einfinden will.
»Gezielte Tötungen«, hilft Björklund nach. »Targeting.«
»Gaza?«
»Westjordanland, Gaza, tutto completto. Du kennst das Programm.«
Hagen kennt es. Nicht im Einzelnen natürlich, aber er weiß, dass die israelische Armee um 2000 herum begonnen hat, als gefährlich eingestufte Palästinenser gezielt zu liquidieren. Die Grundlage bildeten Informationen des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet.
Des SCHABAK .
Und dann fällt es ihm wieder ein.
Uri Blau!
»Ist das nicht dieser Haaretz -Journalist, dem sie den Prozess machen wollen? Wegen Weitergabe von Staatsgeheimnissen?«
Björklund grinst. »Ein paar deiner grauen Zellen scheinen Damaskus überlebt zu haben.«
»Hilf mir auf die Sprünge. Worum ging’s da noch gleich?«
»Um die Wahrheit. Blau hat 2008 einen Artikel zum Thema Targeting veröffentlicht. Auslöser war eine Direktive des Obersten Gerichtshofs.«
»Der die Tötungen legitimierte. Weiß ich noch.«
»Tut mir leid. Knapp vorbei.«
»Sondern?«
»Sie haben sie nicht grundsätzlich verboten.«
Richtig.
Feiner Unterschied.
Hagen durchforstet seine Erinnerung, klaubt die Fakten zusammen.Ein weiterer Name schwemmt hoch. Salah Shehadeh, militanter Hamas-Führer und Bombenbauer. Anschauliches Beispiel dafür, dass die Israelis mitunter recht eigene Vorstellungen von Verhältnismäßigkeit entwickeln, wenn es um einen einzelnen Mann geht.
Für Gilad Shalit haben sie über 1000 palästinensische Häftlinge laufen lassen.
Shehadeh werfen sie eine Ein-Tonnen-Bombe auf den Kopf.
Das Resultat ist verheerend. Für Shehadeh sowieso, aber die F-16, die das Ei legt, verwandelt bei der Gelegenheit gleich auch Shehadehs komplette Nachbarschaft in Schutt und Asche. Neun Häuser gehen in Flammen auf, 14 Menschen finden den Tod, überwiegend Kinder, mehr als 100 Unbeteiligte werden verletzt.
Alles, um einen einzelnen Mann zu töten.
2002, zum Zeitpunkt des Geschehens, ist Ariel Scharon gerade ein Jahr an der Macht, und sein Sicherheitskonzept passt auf eine Streichholzschachtel: Terroristen werden ausgeschaltet. Man ermordet keine Juden, weder hier noch im Ausland, ohne den Preis dafür zu zahlen. Shehadeh bezahlt ihn, und natürlich weint niemand dem Typen eine Träne nach. Leute wie er bringen unendliches Leid über Israels Zivilbevölkerung, mit geheimer Rückendeckung vom obersten Boss – im 24-Stunden-Takt ringt ein weinerlicher Arafat vor laufenden Kameras die Hände und verurteilt einen Terror, den er selbst hinter den Linien befeuert. Die Lage gerät außer Kontrolle, von Sderot bis Haifa liegen die Nerven blank. Scharon findet sich an der Spitze eines Volkes wieder, das erstmals in seiner Geschichte vollkommen ratlos erscheint. Niemand glaubt noch daran, dass die Intifada in den Griff zu bekommen sei, was also tut der »Bulldozer«, da er mit »der Kreatur« Arafat nicht verhandeln will?
Er schmiedet eine bis dahin gelegentlich angewandte Praxis zur konzertierten Kampagne um.
Targeting.
Seine Botschaft an die Palästinenser ist unmissverständlich: Erst wenn der Terror endet, endet die Eliminierung der Terroristen.
Bis dahin werdet ihr eure Toten nicht mehr zählen können.
Und er beginnt zurückzuschlagen.
Ohne Erbarmen.
Die Welt versucht sich mit der neuen Taktik zu arrangieren, indem sie in kritischen Momenten gerade woanders hinguckt, bloß, Shehadeh bleibt kein Einzelfall. Entschlossen, dem Horror der Selbstmordattentate ein Ende zu setzen, pulverisiert Zahal das Umfeld der Delinquenten immer öfter gleich mit, und so lange können nicht mal UN und Europarat wegschauen. Die Frage kocht hoch, ob Mitglieder einer Terrororganisation als militärische Feinde oder Straftäter zu betrachten seien. Das Haar zu spalten, macht für die Betroffenen durchaus Sinn. Als Straftäter haben sie Anrecht auf einen fairen
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