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Tisch!
Die Uhr tickt anders in einem Land, das traditionell die letzte Party feiert. Wo das Leben auf Unsicherheit gründet, gewinnt der Augenblick eine tiefere Bedeutung. Krachen wird es ohnehin, warum die Flügel hängen lassen? Man könnte das als Totentanzmentalität missverstehen, wäre es nicht so offensichtlich Ausdruck eines Lebenshungers, der dem Wissen entspringt, dass es in diesem Land alles gibt, nur eines nicht:
Normalität.
Nicht zu haben, also tun sie wenigstens so, als ob.
Und auch heute wird Tel Aviv seinem Ruf als Miami des Ostens mehr als gerecht, gibt sich quirlig, laut und lebenshungrig, voller Menschen, die auf geheimnisvolle Weise alle dem Wasser zuzustreben scheinen, Murmeln auf einer schrägen Ebene. Eine einzige, sehnsuchtsvolle Hinwendung zum Meer ist diese Stadt. Keine 500 Meter von hier liegen die Strände, öffnet sich ein atemberaubender Blick nach Westen, eine Richtung, in die sich Israel zunehmend orientiert.
Wohin auch sonst, denkt Hagen.
Im Osten endet der Blick an einem Zaun.
Er lehnt sich zurück und beobachtet den Gehweg, die Lider halb geschlossen. Leichter Kopfschmerz macht ihm zu schaffen. Er ignoriert ihn, süßt seinen Tee nach.
Sieht ihn kommen.
Denkt, meine Güte!
Menschen verändern sich, doch an Björklund ist alles wie immer.
Nein, nicht einfach wie immer.
Tatsächlich sieht er so sehr nach Björklund aus, dass es Hagen schwindelt. Derselbe schlendernde Schritt, dieselbe zähe Gelassenheit, mit der er einen Fuß vor den anderen setzt, als könne nichts auf der Welt ihn zu einer schnelleren Gangart bewegen, dasselbe fahlblonde, schulterlange Haar, Statur, Bart, Teint, als sei keine Zeit vergangen.
Kein einziger Tag.
Kaum auszuschließen, denkt Hagen, dass er sogar dieselben Klamotten trägt wie bei ihrem letzten Zusammentreffen.
Er rutscht zur Stuhlkante vor. Steht auf, etwas zu hastig, und sofort gerät die Frishman Street in Schräglage, und er muss sich einen Moment lang an der Tischplatte festklammern.
Verdammte Gehirnerschütterung.
Aber er macht sich was vor, es ist nicht die Gehirnerschütterung, und im Grunde weiß er das ganz genau. Ein Jahr lang Alkohol und Drogen, zwei Jahre clean, vergangene Woche Druckbetankung in Damaskus, übergangslos und exzessiv, ebenso abrupt zurück zu Tee und Wasser.
Kalter Entzug.
Kein Elefant steckt das einfach so weg.
Dann ist Björklund da, und einen Moment verharren beide in Befangenheit, schicken erkundende Blicke vor. Zwei Männer, die sich seit einem nebelverhangenen Wintertag vor fast drei Jahren nicht mehr gesehen, nur gelegentlich telefoniert haben, und auch das ist schon eine gefühlte Ewigkeit her.
Hagen fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Muss sich zusammenreißen, um seine Nervosität zu verbergen.
»Hey.« Seine Stimme klingt kratzig und ungewohnt in seinen Ohren. »Schön, dich zu sehen.«
Björklund verzieht die Mundwinkel. Lächelt sein reduziertes Lächeln, das Leute, die ihn weniger gut kennen, schon mal als Anzeichen einer beginnenden Magenverstimmung deuten.
Auch daran hat sich nichts geändert.
»Du siehst scheiße aus, Alter.«
Sagt es auf eine Weise, die vermuten lässt, dass er den Satz bereits den ganzen Weg hierher auf den Lippen getragen hat. Irgendeine muskelprotzige Eröffnung, wie sie große Jungs benutzen, um keine Sentimentalitäten aufkommen zu lassen.
»Immer noch gut genug für einen Tausender«, kontert Hagen.
Jetzt muss Björklund grinsen. Die Geschichte fand er schon am Telefon komisch.
»Sie wird dich kaum für dein Gesicht bezahlt haben.«
Mannhaftes Gelächter. Von einer Lockerungsübung zur nächsten arbeiten sie sich, und endlich streckt der Schwede seine langen Affenarme aus und zieht ihn an sich. Die kurze Umarmung lässt Hagen mit einem Gefühl der Verlegenheit zurück, andererseits ist er erleichtert. Da das Eis gebrochen ist, muss es jetzt nur noch weiter tauen.
Und das bedeutet, sie müssen reden.
Was am Telefon vergleichsweise einfach war.
Hier ist jede Distanz aufgehoben.
Nahkampf.
Doch sie kämpfen nicht.
Sie sind zwei Männer, die sich auf einer Hängebrücke über einem Abgrund begegnen, und keiner von ihnen will hinabschauen, geschweige denn kämpfen und in die Tiefe gerissen werden.
Zu viele Tote da unten.
Also reden sie ein bisschen über Hagens verpatzte Chance in Libyen und darüber, wie es seinem alten Partner inzwischen ergangen ist.
Definitiv besser als mir, stellt Hagen fest.
Nach dem Afghanistan-Desaster hat
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