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Prozess, sprich, man muss sie verhaften, erkennungsdienstlich behandeln und einem Richter vorführen.
Sie auszuschalten, löst das Problem natürlich schneller und nachhaltiger.
So fallen in den Jahren darauf mehr als 300 Palästinenser gezielten Tötungen zum Opfer. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass ein Drittel davon einfach zur falschen Zeit am falschen Ort war und möglicherweise gar nichts Böses im Schilde führte. Menschenrechtsgruppen laufen sich warm, um den Generalstabschef höchstpersönlich wegen der Ermordung Unschuldiger dranzukriegen, reichen Klage beim Obersten Gerichtshof in Tel Aviv ein und hoffen auf ein Verbot des Targeting.
Das Urteil ist ein Schlag ins Gesicht: Man befinde sich im Kriegszustand, Targeting sei ergo ein Akt der Selbstverteidigung unter der Voraussetzung, dass die zu erwartenden zivilen Opfer nicht im Missverhältnis zum militärischen Nutzen stünden und man alles versucht habe, der Lage auf andere Weise Herr zu werden.
Heißt im Klartext, du darfst jemandem das Licht ausknipsen, wenn eine Festnahme nicht durchführbar ist.
»Kein Verbot also.«
»Aber auch kein Freibrief«, sagt Björklund. »Schätze, sie steckten in der Zwickmühle. 2002 sind 450 Israelis durch Anschläge ums Leben gekommen, ein Jahr später immer noch über 200. Rechne das spaßeshalber mal hoch auf England oder Frankreich, dann kommst du auf 9000 Tote pro Jahr. In Amerika wären es 50 000!«
Kein Staat kann sich das bieten lassen, denkt Hagen.
Doch mit dem Targeting sind die Anschläge auf israelischem Boden zurückgegangen. Und zwar drastisch.
»Dem mussten sie Rechnung tragen, andererseits konnten die Richter nicht so tun, als wäre alles in Butter. Also retteten sie sich in einen Kompromiss: Tötungen müssen von Fall zu Fall entschieden werden, und erlaubt sind sie nur in außergewöhnlichen Situationen.«
»Und wie definiert man außergewöhnliche Situation?«
Björklund lacht trocken.
Eine Frage, die sich wohl auch Uri Blau gestellt hat.
2008 jedenfalls reicht er einen Artikel bei der Zensurbehörde ein,brav wie es sich gehört, Überschrift: Lizenz zum Töten . Der Inhalt hat Sprengkraft, andererseits scheint nichts drinzustehen, was unbedingt geheim gehalten werden müsste, also winken die Zensoren den Text durch. Dass Blau seine Behauptungen mit Dokumenten belegt, die nur geheim sein können , fällt ihnen entweder nicht auf, oder sie wollen Armee und Geheimdienst eins auswischen, die ihnen permanent damit in den Ohren liegen, mit ihrer Laxheit das Ansehen der israelischen Sicherheitskräfte zu ramponieren. Wie auch immer, folgenden Tags steht in Haaretz zu lesen, die Armee unterlaufe das Diktum von 2006 praktisch in einem fort.
Eine Menge Leute fallen vom Stuhl.
Netanjahu bekommt einen Schreikrampf.
Im Oberkommando, in der Regierung, überall schrillen die Alarmglocken.
Denn natürlich stimmt die Sache.
»Und Blau hatte Wind davon bekommen.«
»Hat er«, sagt Björklund mit einem Grinsen, als bereite ihm Blaus Coup persönliche Genugtuung. »Aber woher weht dieser Wind, dass ihm gleich haufenweise vertrauliche Faxe und E-Mail-Ausdrucke auf den Schreibtisch flattern?«
Hagens Erinnerung funktioniert jetzt wieder ausgezeichnet.
Alle Steine rutschen an ihren Platz.
»Anat Kamm.«
Eine unscheinbare, junge Frau, die seit Kurzem für ein Internetportal über Popkultur schreibt. Die Seite gehört zu Haaretz , das heißt, sie arbeitet für denselben Verein wie Blau, doch als sie 2005 ihren Wehrdienst antritt, arbeitet sie erst mal für jemand ganz anderen.
Ein Bürojob.
Papierkram.
Ihr Boss heißt Yair Naveh.
Oberkommandierender im Westjordanland.
Und über Navehs Schreibtisch wandert mit schöner Regelmäßigkeit der komplette Schriftverkehr zu illegalen Targeting -Aktionen.
Wandert direkt in Kamms vertrauensvolle Hände.
Von wegen!
Als ihr bewusst wird, was genau das für Informationen sind, ist es mit der Vertrauenswürdigkeit vorbei. Heimlich beginnt sie die Dokumente zu fotokopieren, rund 2000 Seiten hat sie beisammen, als ihr Wehrdienst endet, und weil sie findet, dass so etwas in der Zeitung stehen sollte, gibt sie den ganzen Packen an Blau weiter. Der Schin Bet braucht nicht lange,um ihr auf die Spur zu kommen. Ein Richter wird aus dem Hut gezogen, der eine sofortige Nachrichtensperre verhängt und Kamm unter Hausarrest stellt. Uri Blau sieht Unbill auf sich zukommen, rettet sich in letzter Sekunde nach London, kehrt aber schon ein Jahr später nach Israel
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