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Breaking News

Breaking News

Titel: Breaking News Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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»die Christen, die Christen –«
    Die Christen, was?
    »Sie erschießen unsere Kinder! Die Christen erschießen unsere Kinder! Unsere Männer! Sie bringen uns auf Lastwagen weg, sie erschießen unsere Männer und Kinder.«
    »Gehen Sie zurück!«, schreit einer der Soldaten die Frauen an.
    »Sie erschießen unsere Kinder!«
    »Zurück, sagte ich!«
    Ebenso gut könnte er in den Sturm schreien.
    Zwischen Chaims Brauen entsteht eine steile Falte.
    »Das schau ich mir nicht länger mit an.«
    Setzt einen erneuten Funkspruch ab, ist offenbar nicht der Einzige, der sich wundert. Fragen rauschen durch den Äther, während die Fußtruppen alle Hände voll zu tun haben, die Frauen zu beruhigen und deren Wortschwall in verständliche Bahnen zu leiten.
    »Alles okay«, kommt endlich der Bescheid.
    »Was heißt, alles okay?«
    »Nicht drum kümmern. Wir haben das im Griff.«
    »Ich kann aber nicht erkennen, dass hier irgendjemand was im Griff hat. Was tun die Falangisten dadrinnen, verdammt?«
    »Hören Sie auf, Fragen zu stellen. Jeder ist informiert. Es ist okay, ja?«
    Chaim lässt das Funkgerät sinken.

    »Na dann«, sagt er, Ratlosigkeit im Blick.
    Von den umliegenden Dächern erschallt ein gedämpftes Wumm-wumm, mehrfach hintereinander, in kurzen Intervallen. Klingt nach 81-mm-Mörsern. Chaims Gesicht beginnt zu leuchten. Auch Mordechais und Gidons Züge erstrahlen in gespenstischem Flackern. Uri legt den Kopf in den Nacken und sieht Dutzende Phosphor-Leuchtraketen am Himmel aufsteigen, kalte, kleine Sonnen, die über dem Lager irrlichtern und den Falange-Milizen den Weg weisen, zu was und wem auch immer.
    Die echte Sonne versinkt, es wird rasch dunkel über Beirut.
    Nur über Sabra und Schatila nicht.
     
    Die ganze Nacht hindurch nicht.
    Kurz vor zwölf werden sie abgelöst. Begeben sich zu einem der Gefechtsstände hinter der Panzerlinie, wo Getränke und Snacks bereitstehen und Zelte mit Feldbetten aufgeschlagen sind, aber an Schlaf ist nicht zu denken. Alle paar Sekunden wummern die Mörser auf den Dächern, das Hornissengebrumm schwerer Versorgungsflugzeuge mischt sich hinein, die ihrerseits Leuchtbomben abwerfen.
    Der Himmel sieht aus, als feierten Zombies Silvester.
    Pausenlos wird geschossen.
    Geschrien.
    Uri weiß, dass er diesen Soundtrack für den Rest seines Lebens im Ohr haben wird, trinkt Tee und sagt sich, so ist eben Krieg. Versucht es aus der Perspektive des Diensthabenden in der Notaufnahme zu sehen: Nichts an sich heranlassen. Zur Kenntnis nehmen, was geschieht, tun, was erforderlich ist.
    Sie essen eine Kleinigkeit.
    Quatschen mit den Besatzungen anderer Panzer.
    Offiziere gesellen sich hinzu, steigen von den höher gelegenen Beobachtungsposten zu ihnen herab, und die bis dahin zäh vor sich hin blubbernde Gerüchteküche beginnt endlich so richtig zu brodeln.
    »Die drehen durch dadrin«, sagt ein Leutnant zu Chaim. »Wetzen die Messer. Mann, die wollen’s echt wissen.«
    »Die Falangisten?«
    »Klar.«
    »Es gab aber doch eine Vereinbarung, die Zivilisten in Ruhe zu lassen.«
    »Ja, und wenn du ins Rote Meer baden gehst, kriegst du von den Haien eine schriftliche Zusage, dich nicht zu beißen.«

    »Wundert euch das?«, brummt ein Feldwebel. »Hat doch jeder gewusst, wie die drauf sind. Rachsüchtige Hunde.«
    »Und was genau tun sie?«, will Uri wissen, bemüht, das Heraustropfen von Sauce aus einem riesigen Fladenbrot durch Drehen und Wenden beim Abbeißen zu verhindern. Vergebens. Dick und weiß klatscht sie ihm auf die Uniform.
    Der Kommandant des Merkavas neben ihnen senkt seine Stimme.
    »Einer der Milizenführer soll durchgegeben haben, sie hätten 300 Zivilisten und Terroristen getötet.«
    »Was ist denn das für ein Schwachsinn?«
    »Kein Schwachsinn«, sagt der Leutnant. »Die Nachricht ist vor einer Stunde an uns durchgegeben worden. Ich glaube, das Oberkommando hat sie sogar an Eitan weitergeleitet.«
    »Dann muss Eitan diesen Irrsinn stoppen.«
    »Wissen wir denn, ob’s stimmt?« Der Feldwebel zuckt die Achseln. »Vielleicht geben sie nur an.«
    »Die Frauen vorhin –«
    »Die waren in Panik. Wir haben sie zurückgeschickt.«
    »Wie bitte?«
    »Ja.«
    »Ihr habt sie wieder da reingeschickt?«
    »Was hätten wir denn machen sollen? Wir mischen uns nicht ein.«
    »Ihr habt doch gewusst, dass –«
    »Keiner weiß alles«, sagt der Leutnant. »Vorhin hieß es, Drori –« Oberbefehlshaber des Nordkommandos »– habe mitbekommen, die Falangisten würden schmutzige Aufräumarbeit

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