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thront auf einem Erdhaufen, keine 50 Meter vom Flüchtlingslager Schatila entfernt. Der künstlich aufgeschüttete Hügel hat in etwa die Höhe der Mauer, die das Lager umgibt, sodass sie darüber hinweg- und ein Stück hineinschauen können. Der Blick verliert sich in einem Gewirr schmuckloser Häuser und verwinkelter Gassen, die Bebauung scheint keinem Plan zu folgen, alles dicht an dicht gesetzt. Ein paar Hinterhöfe können sie einsehen, hier und da einen Hohlweg, das war’s. Das meiste dessen, was in den Gassen vonstattengeht, bleibt ihnen verborgen.
Uri lässt den Feldstecher sinken.
Nicht zum ersten Mal in diesem Krieg sieht er ein palästinensisches Flüchtlingslager, und jedes Mal denkt er dasselbe.
Diese Lager sind richtige kleine Städte.
Und das lässt sie noch unzulänglicher, noch trostloser erscheinen, als reihten sich da Zelte aneinander.
Ein Zeltlager ist Camping, mehr kann man darin beim besten Willen nicht erkennen. Befestigte Lager hingegen strahlen etwas bedrückend Endgültiges aus, ganz besonders im Nahen Osten, wo ein verlässlicher Waffenstillstand mehr gilt als ein unsicherer Frieden. Status, Heimat, alles provisorisch. Übergangslösung als Selbstzweck. Lager wie Sabra und Schatila lassen Wohlstand und Charme echter Städte vermissen, weisen indes alle Merkmale von Urbanität auf: ein- bis mehrgeschossige Häuser, Haupt- und Seitenstraßen, öffentliche Plätze, Geschäfte, Moscheen, Hospitäler, Schulen. Ähnlich den südafrikanischen Cape Flats, die zu elend sind, als dass man sie Stadtviertel nennen möchte, andererseits zu nützlich, um ihnen mit Bulldozern zu Leibe zu rücken, weil geeignet, Teile der Gesellschaft einfach verschwinden zu lassen, scheinen auch Sabra und Schatila zu ewigem Fortbestand verdammt.
Was gibt es Dauerhafteres als Provisorien?
Nirgendwo wird das Schicksalhafte des Flüchtlingsdaseins deutlicher als hier. Der Flüchtling kommt nie an und nicht zurück, also wird er in der Heimatlosigkeit heimisch.
Den ganzen Tag über, seit sie vor den Lagern Stellung bezogen haben, ist es ruhig gewesen. Angeblich hat am Morgen eine Delegation Lagerinsassen versucht, bis zum israelischen Oberkommando vorzudringen, um zu erwirken, dass die Lager von Racheakten verschont bleiben. Dadrin wissen sie sehr genau, dass die Christen palästinensische Freischärler für Gemayels Ermordung verantwortlich machen, und auch, dass die christlichen Falange-Milizionäre alttestamentarische Grundsätze pflegen.
Auge um Auge ist ihnen der liebste.
Selbst wenn sie dafür um Ecken gucken müssen.
Um nämlich von Habib Schartouni bis zu den Flüchtlingen in den palästinensischen Lagern zu gelangen, muss man schon in Parabeln und Spiralen gucken können. Schartouni ist Christ. Beschämend genug, aber es kommt noch dicker. Seine zornige Rechtfertigung, Gemayel habe den Libanon an Israel ausverkaufen wollen, kann nicht verbergen, dass er selbst kaum in der Lage gewesen wäre, derartige Mengen Sprengstoff zu besorgen. Hangelt man sich nun am Verbindungsfaden dieses Makramees weiter, landet man folgerichtig bei einem mächtigen Verbündeten.
Und der sitzt im Nachbarland.
Syriens militärischer Geheimdienst. Bekannt dafür, mithilfe gedungener Killer schon manchem Abweichler und Oppositionellen den Weg in die politikfreie Zone gewiesen zu haben.
Gemayel, so viel ist klar, hätte Assads Leute endgültig vor die Tür gesetzt. Er hätte ihnen nicht länger gestattet, die Wirtschaft seines Landes zu schröpfen, Milliardengeschäfte alleine im illegalen Drogenhandel, den sie über den Libanon abzuwickeln pflegten.
Syrien also.
Arafats großer Gönner und Schutzpatron der PLO .
Womit sich, wenn man nur will, der Kreis zu den Palästinensern schließt. Zu 6000 Menschen in zwei Lagern, die an Gemayels Tod nicht die geringste Schuld tragen.
Egal.
Die Falangisten nehmen jeden Sündenbock mit Kusshand.
So ist die kleine Delegation, wie man munkelt, auch nicht weit gekommen, zwei wurden bereits mit durchgeschnittenen Kehlen aufgefunden. Mit ein Grund, dass die verbliebenen Widerständler eisernen Willens sind, Zahal und Falangisten den Zugang zu den Lagern zu verwehren. Sie haben sich in leer stehenden Gebäuden verschanzt, verschießen die letzten Reste ihrer Munition, verfeuern, was ihnen an Granaten geblieben ist, auf den Ring aus Panzern.
Allerdings plant Zahal gar nicht, reinzugehen.
Scharons Krieg hat Israels Image in der Welt hinreichend ramponiert, jetzt auch noch die Autonomie der
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