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Breaking News

Breaking News

Titel: Breaking News Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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er das Ausbleiben seiner Frau, verharrt im Moment, als der Mann links hinter ihm seine Beretta hebt, geladen mit stahlummantelten Geschossen, selbst den Namen des Attentäters kennt sie, Jigal Amir, Talmudschüler, Jurastudent, sein Bruder hat die Geschosse so präpariert, dass sie größtmögliche Zerstörungen anrichten, all das weiß sie, ohne eingreifen zu können, Kameras blitzen, dann Mündungsfeuer, er hört den Knall, dreht sich verblüfft zu Amir um, es blitzt, knallt, blitzt, jetzt liegen die Personenschützer über ihm, wird der Attentäter überwältigt, jemand ruft: »He! Das war doch nur ein Scherz!« –
    War es nicht.
    Yael windet sich, stöhnt, sitzt mit in dem Cadillac, der dahinrast, über rote Ampeln, ins Ichilov Hospital, viertel vor zehn, zehn vor zehn, auch die Minuten rasen dahin, während Blut und Leben aus ihm herausfließen, er öffnet die Augen und sieht sie an.
    »Und wie läuft’s mit dem Studium, Yael?«
    Sie nimmt seine Hand, unfähig, ein Wort zu sagen.
    »Du darfst jetzt nur an dich denken«, flüstert er. »Mit mir wird das nichts mehr. Denk an dich, hörst du?«
    »Ich –« Tränen schießen ihr in die Augen. »Ich weiß aber nicht, was ich tun soll.«
    Er lächelt. »Das weiß jetzt keiner mehr, Kind.«
    Szenewechsel, OP -Tisch, Ärzte, die versuchen, das Unmögliche zu vollbringen, doch das Resultat steckt schon im Wort. Der Zeiger derUhr über der Tür des Operationssaals rückt vor, zittert und stockt, als wolle er sich der winzigen Distanz bis zur vollen Stunde verweigern, die letzte Minute nicht vollenden.
    Springt endlich auf elf.
    Jitzchak Rabin ist tot.
     
    Seit fünf Jahren.
    Yael erwacht.
    Springt aus dem Bett, reißt die Vorhänge auf, kneift die Lider zusammen.
    Grell.
    Blendend weiß liegt eine dünne Wolkendecke über Tel Aviv, wie hinterleuchtetes Milchglas. Ein Endzeithimmel. Schmerzt in ihren Augen, dafür vertreibt er die Bilder.
    Duschen.
    Dampfend heiß, bis sich Wasser mit Schweiß vermischt.
    Abfrottieren, CD einlegen, Monica Sex, Al HaRizpa. Jaheli Sobol singt von Trennungsleid und Verlassenwerden, egal, was er singt, alles besser als dieser Scheißtraum. In den Laken räkelt sich ein tätowierter Muskelberg, hebt seinen kahlen Schädel, stemmt sich hoch und blinzelt.
    »Wie viel Uhr is ’n?«
    Elior mit seiner Kinderstimme.
    »Weiß nicht. Zeit, um deine Klamotten einzusammeln und was Sinnvolles zu tun.«
    Elior kippt wieder um.
    »Was Sinnvolles? Ich dachte, wir hätten was Sinnvolles getan.«
    »Wir haben was Lustvolles getan.« Yael küsst ihn auf die Glatze. »Jetzt machst du dich nützlich, gehst runter in die Bäckerei und holst uns frisch gepressten Granatapfelsaft und Bagels.«
    Er murrt, will sie ins Bett zerren, da weitermachen, wo sie vor Stunden erschöpft aufgehört haben.
    »Vergiss es.«
    »Okay. Also was Sinnvolles.«
    Zieht sich an, verschwindet, und sofort steigen die Bilder des Traums wieder in ihr hoch.
    Mist.
    Sie hatte so sehr gehofft, ihn los zu sein.
    Doch ihr innerer Filmvorführer hat die Rolle ein weiteres Mal eingelegt. Warum? Eine Weile war es schon nicht mehr normal, wie oft sie ihn träumte, und jedes Mal schmückte ihr Hirn ihn mit neuen Erinnerungen aus, die nicht ihre sein konnten. Tatsächlich war sie nie auf diesem Parkplatz, ebenso wenig wie in dem Cadillac. Als es passierte, stand sie wie die meisten anderen vor dem Podium, eine von Unzähligen, die gekommen waren, um Rabin gegen die Schmutzkampagne der religiösen Rechten in Schutz zu nehmen. Die Geschehnisse hinter der Bühne entzogen sich ihren Blicken, aber natürlich sah sie später die Bilder im Fernsehen, immer neue Amateurvideos, von denen keines die Tragödie in allen Details zeigte, also übernahm ihre Fantasie umso bereitwilliger den Rest.
    Sie kämmt die nassen Haare zurück.
    Betrachtet ihr Gesicht im Spiegel, Züge von Rorschach’scher Ebenmäßigkeit mit hoch liegenden Wangenknochen, große, dunkle Augen unter bogenförmigen Brauen, geschwungene Lippen, kleine, schmale Hakennase.
    Das also ist sie.
    Yael Kahn, 22 Jahre alt, Studentin der Medizin.
    Wirklich?
    Wer weiß? Sie hat schon wahre Blickgefechte mit sich ausgefochten. Minutenlang. Darauf gewartet, dass die Frau im Spiegel aufgibt und sich abwendet, während sie weiter hineinstarrt, was beweisen würde, dass sie es nicht ist, aber wer wäre sie dann?
    Kein Spiegel zeigt, wer du tatsächlich bist.
    Jedenfalls hofft sie das. So fremd und abweisend kommt ihr das Wesen in der reflektierenden

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