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Sofern wir die Charta der Vereinten Nationen als Stunde null für die Festlegung souveräner Staatsgrenzen betrachten – oder irgendeinen anderen Punkt in der Geschichte –, muss alles Davorliegende aus dem Grundbuch gestrichen werden. Übrigens auch das Römische Reich, lieber Bruder.
Und Benjamin würde sagen: Die Weltgemeinschaft kann Chartas aufsetzen, so viel sie will, sie steht nicht über Gott.
Und Jehuda würde sagen: Beweise, dass es ihn gibt.
Und die Schlange würde sich in den Schwanz beißen, wie so oft.
Nur reden sie nicht mehr miteinander.
Irgendwie tragisch. Sie lieben sich, aber sie haben sich nichts zu erzählen, so viel zum Triumvirat.
Und während er über die Sderot Yerushalayim vorbei an Jaffa Richtung Innenstadt fährt, kommt es ihm vor, als habe die gordische Verknotung der Probleme im Nahen Osten auch sein Denken verknotet.
Tel Aviv
Yael wartet auf ihn. Sitzt in einem Café an der Strandpromenade, ein Glas Earl Grey vor sich, und schaut hinaus aufs Meer.
Über der Bar flimmert ein Fernseher.
Als sie kurz den Kopf wendet, erhascht sie einen Blick auf rollende Panzer, Wüstenpanoramen und Männer mit blutgetränkten Stirnverbänden, die das Siegeszeichen machen.
Eine Dokumentation über den Sechstagekrieg.
Auch das noch.
Sie fragt sich, was alle diese Heldenepen mit ihrem eigenen Leben zu tun haben. Schaut zurück auf den monolithischen Mythos Israel, gefügt aus Gründungsfolklore und Bibelzitaten, umrankt von Pioniergeschichten, und sieht nur alte Filme, vergilbte Fotos und Druckerschwärze, Geschichte, in Archiven verewigt.
Lehrstoff.
Schalom, ihr Urgroßvater, hat am Entstehen einer hebräischen Kultur mitgewirkt. Rachel, hoch in ihren Neunzigern, erzählt, wie Ben Gurion auf dem Weg zur Staatsgründung so dicht an ihr vorbeiging, dass sie die Veränderung des Luftdrucks auf ihrer Haut spüren konnte (sie erzählt allerdings auch, sie spüre das Mondlicht in ihrem Haar). In Jehudas und Phoebes Zeit fielen die historischen Siege, sie können aus eigenem Erleben bezeugen, dass Israel unendlich viel mehr ist als ein Stück Boden, das die Weltgemeinschaft den Juden schlechten Gewissens überlassen hat. Immer ging es nur voran. Selbst ihre Tante Miriam kennt noch die Euphorie des Aufbruchs, Jamit, auch wenn der Traum endete, dafür ist ihre Teenagerzeit geprägt vom Frieden mit Ägypten.
Und wir?, denkt Yael.
Was ist mit meiner Generation? Ihr habt die Siege gefeiert und uns den Hass hinterlassen, und damit sollen wir jetzt zurechtkommen?
Wir kommen aber nicht damit zurecht.
Ich komme nicht damit zurecht.
Bevor wir überhaupt in der Lage waren, Einfluss zu nehmen, wurden wir schon zerrieben zwischen den Kräften, die Israel spalten. Hineingeboren in eine Intifada. Verhärtete Fronten, dann Rabin. Die größte je da gewesene Chance auf Frieden – und ein Irrer katapultiert uns mit drei Schüssen zurück in die ideologische Steinzeit. Seitdem wird es jeden Tag schlimmer, hetzen uns die Betonköpfe aller Fraktionen wie Statisten durch das endlose Drama des Nahostkonflikts.
»Ist der Platz da frei?«
»Nein. Tut mir leid.«
Um sie herum herrscht Hochbetrieb. Es ist Mittagszeit, in dem Laden verkaufen sie köstliche Snacks zu Preisen, die nicht gleich existenzgefährdende Löcher ins Studentenbudget reißen, eine echte Herausforderung, Jehuda seinen Platz frei zu halten.
Endlich sieht sie ihn kommen. Zwischen Skatern und Radfahrern manövriert er heran, eins neunzig, gebräunt, volles Haar. Als er sie erstmals von der Uni abgeholt hat, zog er sofort Blicke auf sich, und Yael war versucht zu sagen:
Der da? Mein Vater.
Anders kann sie Jehuda nicht sehen, aber dann legte sie doch die Familienverhältnisse offen, um die Kommentare ihrer Mitstudentinnen genüsslich an ihn weiterzutratschen.
» Das da ist dein Opa? So was sähe mein Vater gern im Spiegel.«
»Kann man den ausleihen?«
»Frag deine Oma mal, ob sie ’ne Woche mit mir tauscht.«
Er kommt herein, Umarmung, bestellt einen Espresso. Phoebe und Jehuda sind Kaffeetrinker. Sie schütten das Zeug in sich rein, dass man sich wundern muss, sie nicht wie Hühner auf Speed durchs Dorf flattern zu sehen. Alte Leute brauchen Starthilfe, pflegt Phoebe zu sagen. Sie findet Yaels Teetrinkerei langweilig, aber sie weiß auch nicht, dass ihre Enkelin sich mit MDMA auf ganz andere Geschwindigkeiten bringt.
Gelegentlich.
»Du siehst verknautscht aus«, sagte Jehuda.
»Besten Dank.«
»Keine Ursache.« Er grinst. »Wie heißt
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