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ist alles. Im Dach klaffen handbreite Spalten, es sickert hindurch. Reiß dich gefälligst zusammen, legst doch sonst so viel Wert auf deinen klaren Kopf, während Vera neben dir kurz davorsteht, durchzudrehen. Schau dir nur an, wie sie Arik umklammert hält, lieber Himmel. Als schütze nicht sie den Jungen, sondern der Junge sie, ein eineinhalbjähriges Kind. Oh, Vera! Als könne dein Junge dich vor dem Tod bewahren, indem du dich an ihn krallst wie an ein Stück Treibholz.
»Es wird schon nichts passieren«, flüstert sie. »Hörst du?«
Vera, die sonst so tapfer, so zäh ist. Rachel sollte sie an sich drücken, ihr übers Haar streichen, doch mehr als gutes Zureden ist gerade nicht drin. Ihre Arme sind schwer von eigenen Kindern, die Köpfe reglos an ihren Schultern. Jehuda und Benjamin haben das Ganze bis jetzt verschlafen, quittieren die Aufregung mit gleichmäßigen Atemzügen, obschon Rachels Herzschlag in ihren winzigen Ohren dröhnen und sie wach halten müsste, so laut kommt er ihr vor.
»Rachel?« Veras Stimme ist wie das Winseln des Windes, der ums Haus streicht. »Warum kommen sie nicht zurück?«
»Mach dir keine Sorgen.«
»Aber wenn sie angegriffen wurden. Was ist, wenn sie –«
»Die haben alles im Griff.«
Haben sie das?
Rachel ist sich da nicht so sicher, aber sie behält ihre Befürchtungen für sich.
»Ich hab solche Angst, Rachel –«
»Schsch!«, zischt eine Frau.
Veras Stimme verödet. Wieder herrscht Schweigen, wenn auch allesandere als Stille. Stattdessen ein Kosmos leiser Geräusche, Flappen von Ohren und Schwänzen, um das allgegenwärtige Heer der Fliegen auf Trab zu halten, Schmatzen, Schnaufen, das Drehen massiger Köpfe, Aufklatschen von Dung, Furzen, Scharren, Stampfen.
Die Tiere sind unruhig, kein Wunder, so voll war der Kuhstall noch nie. Menschen, Kinder und Kühe zusammengepfercht auf engstem Raum, bei über 20 Grad Nachttemperatur.
Der reinste Backofen.
Rachel lauscht in die stickige, heiße Luft hinein.
Schon erstaunlich, denkt sie, was Menschen im Bemühen, Laute zu vermeiden, an Lauten hervorbringen. Hüsteln zum Beispiel. Wie in der Oper, im Konzert. Die Herausforderung, Stille zu wahren, scheint in uns den unbändigen Drang wachzurufen, Schleim durch die Kehle nach oben zu befördern.
Dann, dass wir uns unentwegt kratzen.
Gluckernd unseren Speichel verschlucken.
Den Atem anhalten, ihn umso vernehmlicher entweichen lassen.
Eine Symphonie der Angst, und Angst haben sie hier weiß Gott. Höllische Angst, die Frauen und Kinder in diesem Stall, deren Männer und Söhne in diesen Minuten mit Gewehren im Anschlag die Dorflinien abgehen. Die Warnung war eindeutig: Arabische Banditen werden den Moschaw angreifen, sobald der Mond hoch am Himmel steht.
Sie legt den Kopf in den Nacken, schaut zu den Ritzen im Dach hinauf.
Und wie er am Himmel steht!
In ihrem Arm regt sich Benjamin, murrt. Sie verlagert sein Gewicht ein wenig zur Mitte hin, sieht den schwarzen Schatten eines Babys durchs Heu kriechen, geradewegs auf die Verschläge zu. Im Zwielicht erscheint ihr das krabbelnde Wesen wie etwas Nichtmenschliches, eine riesige, fette Ratte. Jemand stellt sich ihm in den Weg, geht in die Hocke, Dita vielleicht, Ariks Schwester.
Auch schon fast vier, schießt es Rachel durch den Kopf.
Wir müssen dringend das Dach flicken.
Falls wir noch dazu kommen.
Sie versucht, den Aufwand für die Reparatur abzuschätzen, als hätte sie keine dringlicheren Sorgen. Aber alles ist besser, als daran zu denken, was vor zwei Tagen in Hebron geschehen ist.
Nicht daran denken, bloß nicht daran –
Doch natürlich denkt sie jetzt nur umso mehr daran.
Begonnen hat alles mit einer Wand.
Im vergangenen Jahr.
Mit einer simplen spanischen Wand als Abtrennung zwischen den Männern und Frauen, die sich an der Jerusalemer Klagemauer zum Gebet drängten. Ein wackliges, mit Stoff bespanntes Holzkonstrukt, das augenblicklich den Zorn der Scheichs auf sich zog.
Das Ding müsse weg.
Und zwar sofort.
Das verstehen die frommen Juden nicht. Unter den Osmanen haben sie immer hier beten dürfen. Gut, das Osmanische Reich ist Geschichte, sicher, Araber sind keine Osmanen, aber doch wohl beide Muslime, oder? Warum plötzlich die Aufregung? Sie wollen doch nur Jahwe preisen, die Mauer gilt ihnen als Rest des Fundaments, das den herodianischen Tempel stützte, und Männer und Frauen ungetrennt voneinander beten zu lassen, wo kämen wir denn da hin?
Nur liegen die Dinge komplizierter.
Den
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