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–«
Redeschwall.
Yael läuft neben ihr her und hört zu, bis sie gemeinsam vor der Medikamentenausgabe landen.
»Natürlich geh ich schwer davon aus, dass die mich auf Herz und Nieren überprüft haben«, erklärt Abramovitch vertraulich gedämpft, während sie auf die Plastikschachtel mit den Tabletten und Spritzen wartet. »Die wissen jetzt alles über mich. Meine Güte.«
»Der Schin Bet?«
»Na sicher. Mein Mann: Jetzt graben sie alle deine Jugendsünden aus. Ich: Was denn für Sünden? Wenn sie bei dir graben würden, sähen sie bald kein Sonnenlicht mehr, aber ich –« Lässt den Rest Kaffee die Kehle hinuntergurgeln. »Ich –«
Yael zeigt auf den leeren Becher.
»Soll ich dir schnell noch einen bringen?«
»Ach, ich könnt schon noch einen vertragen, Gott, das wird aber knapp. Warte, ich komme mit.«
Die diensthabende Schwester reicht die Arzneien herüber. »Autogramm, Rivka.«
Abramovitch beginnt, umständlich Schnörkel an Schnörkel zu setzen. Yael schnappt sich den Becher und läuft los.
»Ich geh schon mal auffüllen.«
Wenige Meter Vorsprung. Zehn, zwölf Sekunden gewonnen, und keiner darf in der Küche sein, sonst kannst du es vergessen.
Es ist niemand in der Küche.
Der kurze Moment, den Yael außer Sichtweite gerät, reicht. Sie fördert die kleine Flasche zutage, entleert den wasserklaren Inhalt in Abramovitchs Becher, verstaut sie wieder in ihrem Kittel und lässt den Kaffee aus der Thermoskanne in den Becher schießen.
»Halb voll, nur halb!« Abramovitch erscheint in der Tür.
»Wann geht’s denn los?«, stellt Yael sich dumm.
»In fünf Minuten.« Die Schwester nimmt ein paar Schlucke. »Danke,mein Schatz. Wir sehen uns später.« Stellt den Becher ab. »Dann will ich mal meinen neuen besten Freund besuchen fahren.«
Geht hinaus.
Yael wirft einen Blick in den Becher.
Die blöde Kuh hat allenfalls die Hälfte getrunken. Wird das reichen? Kaum. Yossi, der Idiot. Hätte sie ihn doch stehen lassen mit seiner Patientenkurve.
Abramovitch kehrt zurück, nunmehr im Mantel, die Plastikbox fest an sich gedrückt.
»So, jetzt aber wirklich.«
Leert den Becher, macht kehrt und ist verschwunden.
Misstraue jedem, der dir was vom perfekten Plan erzählen will, hat Schimon Yael erklärt. Es gibt ihn nicht. Pläne sind Konstrukte voller Löcher und Unwägbarkeiten, von Menschen für Menschen entwickelt. Gleichungen voller Unbekannter, noch wackliger als eine Klima-Langzeitprognose. Wenn dir die Umstände einen Strich durch die Rechnung machen, kannst du dir mit dem schönsten Plan den Hintern abwischen.
Aber bis dahin liegt es bei dir.
Sei perfekt vorbereitet.
Stell sicher, dass du mindestens eine zweite Chance hast.
Lerne zu improvisieren, und vor allem: Stell nie infrage, was du da tust. Hinterher kannst du gern damit hadern.
Aber nie währenddessen.
Schon gegen halb elf ist Abramovitch zurück, und Yael fragt sich, wie der Patient im Negev ihr Gequatsche ertragen hat, aber wahrscheinlich schlägt sie dort dezentere Töne an.
Sie versucht sich an Ariel Scharon zu erinnern.
Nicht an den Mann aus den Medien, den man jeden Tag zu sehen bekommt, sondern an die Zeit, als er im Hause Kahn noch als Freund galt und ein gern gesehener Gast war.
Sieht sich auf einem dicken Bauch herumturnen.
Kann das sein?
Erinnert sie sich wirklich daran, oder haben andere Menschen ihr die Erinnerung durch Erzählungen implantiert? Verwaschene Bilder tauchen auf, eine traumhafte Sequenz, schneeweiße Zähne, ein großes Gesicht (gut, aus der Sicht einer Vierjährigen ist jedes Gesicht groß), aber es könnte durchaus Ariks freundlich lachende Visage sein.
Doch – das kommt direkt aus ihrem Kopf.
Die Sequenz setzt positive Empfindungen frei, und Phoebe wusstenie etwas Positives über Arik zu sagen. Jehuda schon. Tatsächlich hat er immer wieder versucht, das verabscheuenswürdige Bild, das Phoebe von Arik zeichnete, zu korrigieren, was jedes Mal darin gipfelte, dass Phoebe abgrundschwarze Traurigkeit überkam und dann eine derartige Wut, dass Yael nichts mehr fürchtete als diese Anfälle.
Phoebe hat ihre Sicht geprägt.
»Du bist jemand, der Arik ausreichend hasst, um ihn der Welt und sich vom Hals zu schaffen.«
So hat Schimon Yael am gestrigen Abend charakterisiert.
Oder wie immer sein Name lautet.
Genauso gut könnte sie ihn Schneewittchen oder Rocky Rocket oder sonst wie nennen, er dürfte ebenso wenig Schimon Bug heißen wie sie Zarah Leander.
Stell nie infrage, was du da tust.
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