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Ariks Bauch gespielt. Als er noch kein Ministerpräsident war.«
Jetzt werden sie also den Blitzcheck vornehmen, von dem Schimon erzählt hat, direkte Anfrage im Schin-Bet-Hauptquartier, Datenbankabfrage, das übliche Prozedere.
Lange werden sie nicht brauchen.
»Ich tausche vorsorglich schon mal die Medikamente aus«, lässt sie den Fahrer wissen. »Die Kollegin hat die Box angefasst. Muss nichts heißen, aber wir sollten kein Risiko eingehen.«
Der Umtausch ist eine Sache weniger Minuten.
Der zweite vollzieht sich noch rascher. Sie hat Glück, Backenroth ist auf der Station unterwegs, sodass sie unbemerkt ihren persönlichen Schrank aufschließen und die Pillen und Spritzen in der Schachtel durch die anderen, schon bereitliegenden ersetzen kann.
Vielleicht nicht ganz perfekt organisiert, aber nah dran.
20 Minuten später sitzt sie im Wagen.
Noch mal 20 Minuten später ist sie so weit, dem Fahrer zu sagen, er solle auf der Stelle umdrehen und sie zurückbringen.
Was steht sie da im Begriff zu tun ?
Wie konnte sie sich bloß auf Schimon einlassen, sie weiß nicht das Geringste über den Kerl.
Nur, dass er virtuos argumentiert:
»Die Amerikaner träumen davon, dem Nahen Osten die Demokratie zu bringen, soll heißen, freie Wahlen in Gaza! Solange Scharon der Schwanz ist, mit dem Bush wedelt, müssen wir zulassen, dass auch die Hamas kandidiert, und ein Sieg der Hamas wäre ein Desaster. Jemand muss das verhindern. Jemand, der sich nicht an Scharons Versprechungen gegenüber Bush gebunden fühlt.«
Oder so:
»Schau dir die Westbank an, Yael. Von überall dort können sie Israel unter Feuer nehmen. Uns ausspähen. Kinderspiel, eine 40 Kilometer breite Küstenzone vom Gebirge aus zu überblicken. Ein Abzug aus der Westbank würde Jahrzehnte der Sicherheitspolitik schlagartig zunichtemachen, das israelische Kernland wäre gefährdet wie seit ’67 nicht mehr.«
Klingt schlüssig.
Aber bringt man dafür den Premierminister um? Zumal, wenn dich kaum etwas in deinem Leben nachhaltiger verstört und angewidert hat als genau das.
November ’95.
Jitzchak Rabin, Yaels ewiges Idol. Und was glaubt sie wohl, hätte das Idol als Nächstes getan? Den Siedlungswahn weiter vorangetrieben? Nicht im Mindesten, er hätte das Westjordanland und den Gazastreifen geräumt, die Zwei-Staaten-Lösung herbeigeführt.
Und Yael hätte es richtig gefunden.
Wie kein anderer stand Rabin für Völkerfrieden, Gleichstellung und Zusammengehörigkeit. Er hatte den Mut, die Umstände zu verändern, bevor sie die Menschen veränderten. Nichts hat Yael mehr gequält, als mit ansehen zu müssen, wie der Mord nachträglich banalisiert wurde, indem Linke und Rechte ihn zum traurigen Tiefpunkt ihrer Rivalität erklärten. Als habe nicht eine grundlegendere Katastrophe das Land erschüttert, ein Anschlag von innen gegen die Demokratie, auf den Staat selbst.
Damals haben wir unser Urvertrauen verloren, denkt Yael. Die Gewissheit, die Kinder ruhig schlafen lässt, dass es jenseits aller Angst eine Instanz gibt, die das Böse von dir fernhält.
Mit der Bedrohung von außen kannst du leben.
Wenn dein ärgster Feind aus den eigenen Reihen kommt, gibt es keine Geborgenheit mehr.
Keine verlässliche Größe.
Keinen geschützten Raum.
Und du sagst dir: Rette sich, wer kann.
Jeder für sich.
Etwas Gespenstisches geht mit dir vor, das, was du am meisten verabscheust, in den Stand einer Option rückt. Dir wurde ja eindrucksvoll vor Augen geführt, wie man Meinungsverschiedenheiten in diesem Land regelt. Sosehr du den Mord also verurteilst, hat Jigal Amir mit seiner Beretta zugleich den Startschuss für eine neue Egozentrik gegeben. Es existiert keine verbindende Vision mehr, kein Konsens, nur noch die Räson des Einzelnen. Der Staat ist ein sinkendes Schiff, die Mannschaft selbst hat das Leck in den Rumpf geschossen, deine Feinde sehen dich untergehen und fallen über dich her, wen also rettest du?
Dich und die Menschen, die du liebst.
Nichts anderes zählt mehr.
Und jedes Mittel ist recht.
»Rabin?« Jetzt noch kann sie Schimons nachsichtiges Lachen hören. »Ja, damals schienen die Palästinenser ein Partner zu sein, sie erkannten uns an, die Hamas war entmachtet, aber heute? Sie sind auf dem Vormarsch, die Fanatiker, die Israel das Existenzrecht absprechen, und Abbas wird sie nicht bändigen können. Heute zu tun, was Rabin vielleicht getan hätte, wäre nicht mutig, sondern Selbstmord.«
Legitim klingende Gründe, Ariks Rückkehr
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